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Maedchenauge

Maedchenauge

Titel: Maedchenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian David
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Bardel nicht recherchieren können. Im Internet stand dazu nichts. Bei einer Wiener Agentur, die Tom kurz unter Vertrag gehabt hatte, war niemand bereit gewesen, dazu Stellung zu nehmen. Womöglich hatte man ihn schon vergessen. Tom war offenbar eines jener Talente gewesen, die trotz etlicher Chancen den endgültigen Durchbruch letztlich doch verpasst hatten. Oder verspielt.
    Zurück in Wien, war Tom vorübergehend zu einer fixen Größe in der Partyszene geworden. Bardel hatte dazu Schnappschüsse und kleine Artikel aufgetrieben, in denen sein Name vorkam und er als Londoner Topmodel bezeichnet worden war. Doch auch in dieser Hinsicht war es vor ein paar Monaten deutlich ruhiger um ihn geworden. Das Haus am Linnéplatz hatte sich den verlorenen Sohn wieder eingefangen wie ein Käfig den entflogenen Vogel.
    Um Nicole stand es weniger mondän. Zwar war sie auf einigen Partyfotos neben Tom abgebildet. Allerdings ohne dass ihr Name erwähnt wurde, dafür stets mit Zigarette und einem Glas in der Hand. Immerhin ähnelte sie auf den Fotos ihrem Phantombild. In der entsprechend ausgesuchten Kleidung und mit der passenden, wilden Frisur sah sie tatsächlich völlig anders aus als in Räuberzivil. Da besaß sie so etwas wie eingebildete Souveränität. Wohingegen die blasse, verschreckte Nicole, die Lily kennengelernt hatte, in ihrer Regression auf infantile Manipulationsmanöver gar nichts Glamouröses mehr aufwies. Nicole war als Studentin an der Wiener Wirtschaftsuniversität eingeschrieben. Offiziell widmete sie sich der Betriebswirtschaft. Um ihren tatsächlichen Studienerfolg war es mau bestellt. Behielt sie ihr bisheriges Tempo bei, würde sie erst mit Anfang dreißig einen Abschluss vorzuweisen haben. Falls sie überhaupt durchhielt.
    Lily nickte anerkennend. »Super recherchiert, Frau Bardel. Jetzt würde mich noch interessieren, was mit Tom Saborskys Vater los war? Seit wann ist er tot und was ist aus der dazugehörigen Mutter geworden?«
    »Das kann ich Ihnen aus dem Gedächtnis sagen, Frau Doktor«, sagte Belonoz und gab sich dabei so routiniert, dass er beinahe schon gelangweilt wirkte. »Der alte Saborsky hat seine Frau ins Grab gebracht. Er selbst hat heimliche, aber gerne kolportierte Verhältnisse mit diversen Damen der Wiener Kulturszene unterhalten. Wenn Sie mich fragen, würde ich sagen, er war ein Schwein. Nicht dass er sich um frustrierte Ehefrauen und einsame Geschiedene gekümmert hätte. Nein, vor allem hat er vielen jungen Frauen geschworen, etwas für deren Karrieren zu tun. Darunter angehenden Schauspielerinnen und Malerinnen genauso wie jungen Schriftstellerinnen. Alles leere Versprechen.«
    »Vielleicht haben sie durch ihn wenigstens die Chance erhalten, in einflussreiche Kreise zu gelangen?«, fragte Lily.
    »Genau das hat er verhindert. Ich weiß das, weil manches aktenkundig geworden ist. Es hat Selbstmordversuche gegeben, anonyme Drohungen, Telefonterror, Stalking. Was immer Sie wollen, Saborsky hat es erlebt. Ihn scheint das überhaupt nicht gestört, sondern im Gegenteil noch beflügelt zu haben. Klar, dass unter Kriminalbeamten darüber gesprochen worden ist. Außerdem hat es die Gerüchte gegeben, denen zufolge sich Saborsky gerne mit sehr jungen Begleiterinnen geschmückt habe. Für den tatsächlichen Sex hat er jedoch die etwas reiferen Semester bevorzugt. Wahrscheinlich, um Peinlichkeiten vorzubeugen.«
    »Und wie hat seine Frau darauf reagiert?«
    »Die hat alles mitbekommen. Sie war eine intelligente Person, eine studierte Literaturwissenschaftlerin, die in einem Verlag gearbeitet hat. Manchmal war es, als hätte es ihm gefallen, ihr sein Liebesleben vorzuführen, während sie isoliert verwelkt ist. Jedenfalls ist Saborskys Frau an Krebs gestorben. Auf sein Leben hat das keinen Einfluss gehabt, er hat weitergemacht wie bisher. Aber vor fünf Jahren hat man ihn tot aufgefunden.«
    »Wie? Wo?«
    »Zwischen zwei Terminen ist er einfach mitten in Wien umgekippt. Direkt hinter dem Stephansdom, unmittelbar nach einem Restaurantbesuch. Das war es für ihn. Und aus. Er hat sich so viel Mühe gegeben, dauernd in der Öffentlichkeit zu stehen und als wichtig wahrgenommen zu werden. Aber sein Tod war unspektakulär, geradezu banal. Er selbst hätte das gehasst. So wie er es gehasst hätte, nackt im Sektionssaal zu liegen, während der Gerichtsmediziner den Kopf aufsägt oder in seinen Gedärmen herumwühlt. Aber wegen der vielen Gerüchte um sein Privatleben war eine genaue Klärung der

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