Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maedchenauge

Maedchenauge

Titel: Maedchenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian David
Vom Netzwerk:
Justizwachebeamten hatten das kleine Fenster entweder nicht bemerkt oder unterschätzt. Salusek hatte sich hindurchgezwängt und war geflohen. Fünf Minuten später, als er längst über alle Berge gewesen war, hatten die Beamten das Verschwinden entdeckt. Auf der Flucht hatte Salusek einen Taxifahrer erwürgt. Anschließend war er in dessen Wohnung eingedrungen, wo sich die Frau des Taxifahrers und der schwerbehinderte Sohn aufgehalten hatten. Beide waren von Salusek gefesselt und nacheinander mit einem Kabel erdrosselt worden.
    Lily hatte die Fahndung geleitet, nachdem ihr Kollege Taub überraschend erkrankt war. Zwölf Tage war Salusek auf der Flucht gewesen. Bis man ihn in einem verlassenen Haus nahe Wien aufgespürt hatte und er von einer Spezialeinheit der Polizei überwältigt worden war.
    »Die Ministerin«, erzählte Lenz inzwischen weiter, »war überzeugt, dass wir ohne Sie, Frau Kollegin, viel länger benötigt hätten, um Herrn Salusek festzunehmen. Jetzt müssen wir also überlegen, wie wir Sie hier möglichst sinnvoll einsetzen. Und wie Ihre Zukunft bei uns aussieht.«
    Lily wunderte sich, worauf Lenz mit seinem samtweichen, aalglatten Geplauder hinauswollte. Mit einem Mal verspürte sie leichten Argwohn. Um Zeit zu gewinnen, sagte sie einfach: »Herr Oberstaatsanwalt, ich hoffe, Sie können etwas mit den Ideen anfangen, die ich Ihnen gemailt habe …«
    Lenz lächelte noch breiter als zuvor. »Aber sicher. Sie wollen sich mit Wirtschaftskriminalität befassen … Ein interessantes Terrain, gar keine Frage. Da könnten Sie durchaus Positives bewirken.«
    Er schwieg und blickte Lily freundlich an. Der Rest seines Körpers blieb starr und ausdruckslos. Nichts verriet, was in Lenz vorging und worauf er abzielte. Lily war unschlüssig, wie sie sich verhalten sollte. Also tat sie einfach nichts weiter, als dem Blick des Oberstaatsanwalts standzuhalten. Sie wollte ihm kein Stichwort liefern. Er musste es schon allein schaffen, die entscheidenden Worte auszusprechen.
    »Die Frage ist natürlich, wo Sie angesichts der aktuellen Lage nicht nur Gutes, sondern das Beste leisten können«, sagte Lenz und verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie müssen wissen, dass Kollege Seiler derzeit stark überlastet ist. Der Fall Pratorama wächst sich zu einer immer größeren Sache aus.«
    Wieder schwieg Lenz, und Lily fragte sich, ob der Oberstaatsanwalt seine Worte bloß wirken lassen wollte oder von Lily eine bestimmte Reaktion erwartete. Im Internet hatte sie Berichte über den Pratorama -Skandal gelesen. Lenz hatte wohl nicht zufällig so deutlich darauf Bezug genommen. Es ging dabei um Wirtschaftskriminalität, somit um Lilys dezidiertes Wunschthema, und die Ermittlungen leitete Oliver Seiler. Entweder sollte Seiler der Fall entzogen werden, oder ihm sollte jemand bei der Arbeit helfen. Eine andere Möglichkeit fiel Lily nicht ein. Also beschloss sie nach sekundenlangem Nachdenken, Lenz zu erlösen und ihm entgegenzukommen.
    »Herr Oberstaatsanwalt«, sagte sie, »ich würde mich gerne mit dem Fall Pratorama befassen. Ich habe auch kein Problem damit, dass Seiler federführend ist.«
    Lenz blickte Lily intensiv an. In seinen Augen lag eine schwer zu deutende Heiterkeit, die Lily einen Moment lang als Erleichterung interpretierte.
    »Das bezweifle ich nicht«, erwiderte Lenz. »Sie sind, Frau Kollegin, eine besonders fähige Person, und Sie sind bekannt für Ihre hervorragende Arbeitsauffassung. Dafür möchte ich mich einmal ganz ausdrücklich bedanken, aber … Sagen wir es so, Pratorama ist wichtig. Sogar sehr wichtig und äußerst prominent. Nur gibt es noch andere, eventuell dringlichere Probleme.«
    Lenz sah Lily an. Als ob sie endlich von allein begreifen könnte, worauf er abzielte, und sie es ihm bitte nicht so schwer machen sollte. Doch Lily verstand gar nichts mehr, die letzte Volte des Oberstaatsanwalts hatte sie entwaffnet. Sie hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte und was er von ihr erwartete. Genervt verlor sie jegliches Verständnis und bedachte Lenz mit einem Gesichtsausdruck, der zwischen Herablassung und Ungeduld schwankte. Also gab sich Lenz einen Ruck. Allzu viel Zeit wollte er auch nicht verschwenden.
    »Bisher hat Kollege Seiler sowohl den Fall Pratorama wie auch die jüngsten Frauenmorde untersucht«, sagte er. »Eine unangenehme Angelegenheit, Sie sind sicher informiert …«
    Lily nickte vorsichtig und zwang sich zu einem neutralen Gesichtsausdruck.
    »Nachdem er sich bereits in

Weitere Kostenlose Bücher