Maedchenauge
er noch mit Belonoz telefoniert.
»Sie müssen rasch und exakt recherchieren«, hatte Belonoz herablassend doziert. »Das ist ein großer Fall, nicht irgendeine Salzburger Provinzposse. Ich brauche hieb- und stichfeste Informationen. Sind Sie dazu imstande?«
»Selbstverständlich«, hatte Descho ruhig geantwortet.
Schon zu diesem Zeitpunkt hatte er sich müde gefühlt und deshalb beschlossen, sich von Belonoz’ Tonfall nicht provozieren zu lassen. Der Major hatte ihm aufgezählt, was er sich erwartete. Nämlich sämtliche Details zu Familie, Freunden, sozialem Umfeld, Lebensgewohnheiten, Telefon- und E-Mail-Verkehr und so weiter.
»Das kriegen Sie alles, so schnell es geht«, hatte er Belonoz versprochen.
Dabei hatte er sich innerlich geschworen, diesem eingebildeten Wiener nicht den geringsten Anlass zu Ärger oder gar Spott über die Salzburger Kriminalbeamten zu bieten. Descho hatte sich auf die Ermittlungsarbeit geradezu gestürzt und sich ausgemalt, wie es wäre, die vielleicht entscheidenden Details ans Tageslicht zu bringen. Die Wiener Kollegen würden ihren Erfolg bei der Ergreifung des Täters mit den Salzburgern teilen müssen.
Das Problem bestand darin, diese aufwendige Arbeit genau in jenem Zeitraum durchzuführen, der für jede Straftat der entscheidende war. Also unmittelbar nach der Tat, wenn der Schatten des gesuchten Täters noch zu spüren war. Ausgerechnet da sollte man alles gleichzeitig machen, nämlich streng bürokratisch und nach dem Lehrbuch handeln sowie seine Intuition benutzen und ganz generell auf der Hut sein. Nicht bloß die Vorgesetzten lauerten auf Ermittlungsfehler. Auch nach Monaten oder Jahren konnten noch die kleinsten Fehler von peniblen Richtern oder Verteidigern aus den Akten gezerrt und den Medien zugespielt werden.
Die Eltern von Magdalena Karner hatten vor Descho das Bild einer idealen, weil braven und strebsamen Tochter ausgebreitet. Immer wieder hatte Descho im Verlauf der Einvernahme versucht, dieses Bild durch geschickte Fragen ins Wanken zu bringen und eventuelle Schattenseiten aufzudecken. Gelungen war ihm dies in keinem Moment.
Descho hatte Magdalenas Zimmer in der elterlichen Wohnung inspiziert. Deutlich hatten sich darin verschiedene Stadien der Reife eines jungen Menschen vermischt. Zugleich hatte dem Raum etwas Museales angehaftet. Als Magdalena nach Wien gezogen war, hatte das Zimmer aufgehört, verändert zu werden. Fortan war es für immer das Zimmer einer Jugendlichen, nicht einer Studentin geblieben. Nur gelegentlich war Magdalena noch gekommen und hatte das Zimmer bewohnt, im Sommer etwa und während der Semesterferien. Poster längst vergessener Popstars hatte Descho an den Wänden gesehen. Das Bücherregal war mit typischer Schullektüre angefüllt, das Bett mit bunter Wäsche bezogen, einem Mädchen angemessen, nicht einer jungen Frau.
Dabei hatte Magdalena einen Freund gehabt. Nicht in Wien, sondern in Salzburg. Seit einem halben Jahr.
»Davor hat es jemanden in Wien gegeben«, hatte die Mutter erklärt. »Aber dann …«
»Was war dann?«, hatte Descho sanft nachgefragt.
»Es muss Schwierigkeiten gegeben haben, aber … Lena hat dazu nicht viel gesagt. Bei solchen Themen war sie eher verschlossen.«
»Entschuldigen Sie, aber bei welchen Themen?«
»Wenn es um … um ihre persönlichen Angelegenheiten gegangen ist … da hat sie nie viel erzählen wollen. Sie hat da immer nur Andeutungen gemacht. Und wir haben sie natürlich gefragt, ob es ihr gut geht und alles in Ordnung ist. Sie hat gemeint, wir sollen uns keine Sorgen machen, alles passt.«
»Und was ist dann passiert? Nach den Schwierigkeiten, von denen Sie erzählt haben …«
»Da hat sie sich von dem Wiener getrennt … Also ob es wirklich ein Wiener war, wissen wir natürlich nicht, jedenfalls scheint er in Wien gelebt zu haben …«
»Magdalena hat seinen Namen nie erwähnt?«, hatte Descho neugierig gebohrt. »Oder sonst etwas zu seiner Person verraten?«
»Kein Wort, da war sie wirklich zurückhaltend.«
»Hat sie ihn vielleicht in Briefen oder E-Mails beschrieben, oder per SMS?«
»Keine Spur, nie im Leben. Wie gesagt, dazu war unsere Lena viel zu … wie soll ich sagen?«
»Zu schüchtern?«
»Ja genau.«
Für einen Moment war Descho enttäuscht gewesen. Doch sofort war ihm eingefallen, dass der ominöse Wiener Freund ohnehin eine Sache der Kollegen aus der Hauptstadt war.
»Gut«, hatte er mit neuem Enthusiasmus begonnen, »Magdalena trennt sich von ihrem Wiener
Weitere Kostenlose Bücher