Maedchenauge
Danach kehrte er in sein Büro zurück, trank ein zuckerfreies Red Bull und setzte sich an den Computer. Die routiniert formulierten Sätze, mit denen er seinen Bericht füllte, flogen ihm nur so zu. Gegen elf Uhr mailte er den Text an Major Belonoz.
Anschließend fuhr er nach Hause und nahm die Dusche, auf die er sich seit Stunden gefreut hatte. Als der Schmutz und der Schweiß aus seinen Poren geschwemmt wurden, verspürte Descho so etwas wie Glück. Dabei fiel ihm ein, wie er Sebastian Emberger mit wenigen Worten beschrieben hätte. Nicht als einen Menschen in Trauer.
Sondern als jemanden, der sich bemüht hatte, seine Angst zu verbergen. Und darüber schlicht vergessen hatte, seinen BMW rechtzeitig waschen zu lassen.
7
»Die Schüsse kommen ab jetzt aus allen Richtungen«, sagte Berti Stotz. »Marina wird sich warm anziehen müssen, wenn sie das überleben will. Ihr Kleiderschrank ist ja sehr vielseitig, wie wir wissen. Vielleicht findet sie dort eine schusssichere Weste.«
Der Bürgermeister hatte ein Telefongespräch beendet. Kurz und herzlich lachte er in Richtung seines Gastes. Er ließ sich in den hellbraunen Lederfauteuil fallen, der zu der protzigen Sitzgruppe seines Büros im Rathaus zählte. Die traditionsreiche Aura des hohen, getäfelten Raums wurde von zahlreichen Plakaten konterkariert, auf denen große Farbfotos des breit grinsenden Bürgermeisters prangten. Dass sie und die neureiche Möblierung zum historischen Ambiente ebenso gut passten wie Pappteller in ein Gourmetrestaurant, hatte Stotz noch nie interessiert. Und ihm das zu erklären, hatte niemand gewagt.
Schon gar nicht jener Mann, der Stotz jetzt gegenübersaß. Michael Schegula war der für Finanzen verantwortliche Stadtrat und galt als Schützling des Bürgermeisters. Der angepasst wirkende Enddreißiger sah seltsam alterslos aus und so grau wie die Anzüge, in denen er täglich auftrat. Sie machten ihn unsichtbar. Ob Schegula einen Raum betrat oder verließ, fiel niemandem auf.
»Warum hast du eigentlich einen neuen Staatsanwalt gewollt, Berti?«, fragte Schegula so beiläufig, als ginge es bloß um die Wahl zwischen zwei Restauranttischen.
»Seiler ist zu gut«, sagte Stotz und grinste bitter. »In den paar Wochen seit Beginn der Pratorama -Untersuchung hat er Dinge zustande gebracht, für die andere Jahre benötigt hätten. Durch die Ermittlungen ist er ein kleiner Star geworden. Außerdem ist er fotogen und kann sich in den Medien gut präsentieren.«
Schegula nickte, als würde er verstehen, aber er ließ nicht locker. »Was bringt uns Lily Horn? Die Frauenmorde waren doch eine zusätzliche Belastung für Seiler. Die müssen ihn eigentlich von der Pratorama -Sache abgelenkt haben.«
»Nicht wirklich. Seiler ist ein Arbeitstier. Aber wenn er neben Pratorama auch noch weiter die Frauenmorde untersucht hätte, wäre er zum absoluten Medienliebling unter den Staatsanwälten aufgestiegen. Solche Leute kannst du nicht sabotieren.«
»Warum?«
»Weil sie zu Helden des kleinen Mannes werden und dadurch unangreifbar sind. Jede Kritik an ihnen wird als Vertuschungsversuch gedeutet. Es sei denn, es gibt private Fehltritte. Aber in dieser Hinsicht sind wir bei Seiler nicht fündig geworden. Seine letzte Freundin hat ihn vor ungefähr einem Jahr verlassen. Dieser Ehrgeizling lebt nur für die Arbeit. Keine Affären, nicht einmal Bordellbesuche oder Huren. Schwul ist er leider auch nicht.«
»Das weißt du alles so genau?«, fragte Schegula mit scheinbar naiver Neugier.
»Glaub mir, Michael, das alles ist überprüft worden. Und zwar sorgfältig.«
»Also willst du ihn auf Pratorama beschränken und ihm Steine in den Weg legen?«
»Sicher«, sagte Stotz. »Und bis Frau Doktor Horn alle Akten studiert hat, vergeht wertvolle Zeit. Das hilft uns gegenüber Marina.«
»Was ist, wenn sich Lily Horn als eine Art weiblicher Seiler entpuppt?«
»Sie ist jung, noch nicht einmal dreißig. Und darf sich schon um die prominenteste Mordserie Österreichs kümmern. Das wird Neid und Eifersucht erzeugen. Vielleicht sogar bei Seiler. Der hält sich garantiert für unersetzlich. Und sobald die Medien erkennen, dass Lily Horn den Mörder nicht rasch zu fassen bekommt, werden die Attacken losgehen. Ich kenne doch unsere liebe Freundin Sasha Bonino. Auf sie und Clip24 ist Verlass.«
»Gut, aber … also nur einmal angenommen, diese Lily Horn ist so talentiert und fähig, dass sie den Mörder schnappt …«
Stotz verzog seinen Mund zu einem
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