Maedchenauge
einer Klatschreporterin zu betätigen, war nach zwei Tagen an der Qualität der eingereichten Texte gescheitert. »Sorry, da fehlt mir irgendwie der Esprit, das liest sich ja wie kommentierte Gästelisten«, hatte der verantwortliche Ressortchef gemurmelt und eilig nach einem Ersatz für den Ersatz gesucht. Der noch größere Traum, als Moderatorin fürs Fernsehen oder beim Radio zu arbeiten, war über ein paar Castingversuche nicht hinausgekommen. Ihre Stimme klinge etwas hohl und sei nichts für das Mikrofon, hatte man ihr mitgeteilt. Der Befund, sie wirke vor der Kamera wie ein kalter Fisch, wurde ihr erspart.
Mit Alexandra Derflingers stark ausgeprägtem Ehrgeiz waren diese Erfahrungen indes nicht zu vereinbaren gewesen. Das hatte sie in jener Nacht eingesehen und den Kurs geändert. Mochte auch ihr Talent nicht ausreichen, um die angestrebte journalistische Karriere zu erreichen, so musste es gefälligst andere Möglichkeiten geben, die Ansprüche ihres Egos zu befriedigen. Nämlich den Durchschnitt endlich hinter sich zu lassen, aus der Masse hervorzustechen, von anderen bewundert und geliebt zu werden. Den Neid und die Eifersucht anderer zu erwecken. Vor allem aber keine Befehlsempfängerin zu sein, sondern im Gegenteil, selbst Chefin zu werden. Also hatte Alexandra Derflinger entschieden, künftig jede sich bietende Gelegenheit zum gesellschaftlichen Aufstieg zu nutzen.
Die Unterstützung männlicher Förderer war ihr nie fremd gewesen. Manches Mal hatte sich daraus eine vorübergehende Beziehung ergeben. Ohne große Emotionen. Nach dem Umdenkprozess jedoch hatte Alexandra Derflinger Nachhaltigeres angestrebt, etwas Fixes, das bleiben und bestehen sollte. Etwas fürs Leben, nicht mehr bloß für den Moment. Als sie dieses Ziel für sich definiert hatte, war ihr Ehrgeiz zu neuer Stärke gewachsen. Sie war härter geworden, hatte alte Denkmuster abgestreift.
Mittlerweile siebenundzwanzig Jahre alt, hatte sie die bis dahin brünetten Haare so schwarz wie möglich gefärbt. Und sich auf die Suche nach der Begegnung gemacht, die ihr Leben in neue Bahnen lenken sollte. Fleißig sowie gemäßigt modisch gekleidet hatte sie Abendtermine absolviert. Sie war überall erschienen, wo sie Menschen mit hohem gesellschaftlichen Prestige vermutete. Podiumsdiskussionen und Vorträge in elitären Wirtschaftszirkeln waren ebenso darunter gewesen wie Theaterpremieren und Bälle. Ihr Status als Journalistin hatte ihr nicht nur die Möglichkeit geboten, Zugang zu sonst verschlossenen Kreisen zu erhalten, sondern auch den Vorwand, Gespräche mit bis dahin Fremden einzufädeln. Ihr frisch geschärfter Blick half ihr, augenblicklich die Spreu vom Weizen zu trennen und sich nicht länger als nötig mit Personen abzugeben, die ihr niemals nützlich sein würden.
Als sie Rudolf Bonino bei der Eröffnung einer Arnulf-Rainer-Ausstellung in der Albertina identifiziert hatte, war Alexandra Derflingers Instinkt erwacht. Der damals siebenundsechzigjährige Bonino hatte als der österreichische Medienzar schlechthin gegolten, zugleich aber auch als notorisch zurückhaltend im Umgang mit der Öffentlichkeit. Nur wenige Fotos von ihm existierten, lediglich zweimal innerhalb der vergangenen zwanzig Jahre hatte er Interviews gewährt. Immerhin war Boninos Tätigkeit als Mäzen und Sammler moderner Kunst nicht verborgen geblieben.
Alexandra Derflinger hatte sich plötzlich wie eine Marionette empfunden, die, von einer höheren Kraft gelenkt, direkt zu Rudolf Bonino getrieben wurde. Sie war auf den Verleger zugegangen, hatte den ihn umgebenden Pulk von Anzugträgern mutig durchschritten und getan, was Bonino lange nicht widerfahren war. Sie hatte ihn unvermittelt angesprochen, an den erstaunten Gesichtern der Umstehenden vorbei. Allein schon dieser Chuzpe wegen war ihr die Aufmerksamkeit Boninos sicher gewesen.
Zuerst hatte sie ihm gesagt, dass sie Journalistin sei. Und dass sie von ihm nichts weiter wolle, als seine berühmte Kollektion früher Arnulf-Rainer-Bilder persönlich studieren zu dürfen. Ohne darüber in einer Zeitung zu schreiben, denn sie schwärme seit langem schon für diesen Künstler. Wenn das jedoch nicht möglich sein sollte, wolle sie unbedingt für ihn arbeiten. Oder aber einfach beides zusammen, also für ihn arbeiten und die Sammlung besichtigen. Ob ein solcher Deal für ihn vorstellbar sei, hatte sie ihn forsch gefragt.
Rudolf Bonino hatte sie gelassen angeblickt, und fast wäre Alexandra Derflinger von der Entourage
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