Maedchenauge
Freund.
»Die Sachen maile ich dir gleich. Viel ist es nicht.«
»Macht nichts. Danke für deine Hilfe, Roman.«
»Sag übrigens, ist da nicht dieser Belonoz der Leiter der Mordkommission?«
»Ja sicher, kennst du den?«
»Gott sei Dank nicht. Ich habe nur gehört, was man sich über ihn erzählt … ein arrogantes Arschloch … ein Wiener eben.«
Fünf Minuten später studierte Descho das eingetroffene Material. Roman Kaller hatte recht gehabt, es war nicht umfangreich. Dafür aber aussagekräftig.
Genau zwei Wochen vor dem Mord an Magdalena Karner war eine junge Salzburgerin frühmorgens bei einer Polizeidienststelle erschienen. Aufgewühlt hatte sie behauptet, von einem Mann mit einem Messer bedroht worden zu sein. Ihre Schilderung sei glaubwürdig gewesen, hatte die diensthabende Polizeibeamtin vermerkt.
Allerdings sei es zu weiteren Ermittlungen nicht gekommen, weil dieselbe Frau eine halbe Stunde später erneut auf der Polizeiwache erschienen war und die Anzeige wieder zurückgezogen hatte. Dabei war die Frau von ihren Eltern sowie der Mutter des Mannes begleitet worden, den sie der Tat beschuldigt hatte. Alle hatten insistiert, dass es sich bei der Angelegenheit um einen Irrtum gehandelt habe, geschuldet dem nächtlichen Alkoholkonsum der jungen Frau. Sowohl die Eltern wie auch die Mutter des anfänglich Beschuldigten hatten angegeben, für eventuell entstandene Schwierigkeiten selbstverständlich die Verantwortung zu übernehmen. Was gar nicht nötig war, wie sich rasch herausgestellt hatte.
Descho lehnte sich zurück. Dass die Anzeige problemlos wieder ad acta gelegt worden war, überraschte ihn nicht. Die junge Frau war die Tochter eines Salzburger Politikers, der als Parlamentarier im Nationalrat in Wien arbeitete. Der Beschuldigte sowie dessen Mutter gehörten zur etablierten Salzburger Gastronomie. Kein Wunder, dass öffentliches Aufsehen verhindert werden sollte. Unter allen Umständen.
Der junge Mann, der die junge Frau bedroht haben soll, war Sebastian Emberger. Der Freund von Magdalena Karner, mit dem Descho heute Morgen gesprochen hatte.
Descho war überzeugt, dass diese Episode überprüft werden sollte. Doch war es die Arbeit, die Zeit und den Aufwand wert? Vielleicht handelte es sich um eine völlig irrelevante Alkoholgeschichte. Und womöglich würde sich Descho im Netz der Salzburger Lokalprominenz mit ihren guten Verbindungen verheddern. Drohte nun der Anfang vom Ende seiner hoffnungsvollen Karriere? Würde die Rache für das unbefugte Eindringen in die Sperrzone rund um das Gasthaus und die Villa der Embergers gnadenlos ausfallen?
Er nahm den Telefonhörer ab und wählte die Nummer von Major Belonoz.
*
Hier waren Opfer und Täter aufeinandergetroffen. Ein gesunder Mensch war in den Tod gestochen worden. Ein anderer hatte dabei zugesehen. Ungerührt und den Instinkt, jemandem in Not zu helfen, komplett ignorierend. Er hatte der jungen Frau nichts zu bieten. Nur seinen Vernichtungswillen. Deswegen hat er ihr Böses angetan.
Ein Gefühl der Bedrückung umfing Lily Horn. Sie betrat die Wohnung von Magdalena Karner, deren privatesten Rückzugsraum. Er war dem Opfer zur Falle geworden. In ihrem Zuhause hatte das Opfer den Todeskampf ausfechten müssen, während die Augen ihres Mörders ungerührt geglotzt hatten.
»Sie wurde vor ihrer Wohnungstür attackiert«, sagte Belonoz. »Da wurden Blutspritzer gefunden. Und die Blutlache.«
»Vielleicht hat sie die Tür geöffnet und wurde danach attackiert.«
»Ganz sicher nicht. Der Verlauf der Blutspuren an der Tür beweist, dass sie zum Zeitpunkt der ersten Messerattacke völlig geschlossen gewesen sein muss.«
»Oder sie hat jemanden eben vor ihrer Wohnungstür sprechen wollen. Nur so als Beispiel.«
»Stimmt, Frau Doktor. Aber das Entscheidende bleibt. Wir wissen es nicht. Es kann so, es kann aber auch ganz anders gewesen sein.«
Lily nickte. »Also können wir von den Spuren her nicht schließen, ob der Täter eventuell ein Bekannter oder Freund gewesen ist. Oder ein völlig Fremder.«
»Auch bei den zwei anderen Morden war das so«, sagte Belonoz. »Und die Vollendung der Tat ist innerhalb der Wohnung geschehen.«
»Das bedeutet, dass die Tat vom Mörder bewusst in die jeweilige Wohnung getragen worden ist. Auf den ersten Blick ist das sinnlos.«
»Überhaupt nicht. Vergessen Sie nicht das Klebeband und die Augen. Das hat der Täter in der Wohnung ungestört durchführen können. Hingegen auf dem Gang eines Wohnhauses mit
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