Maedchenauge
davon erfahre. Das war beabsichtigt. So handelt jemand, der sich nicht angreifbar machen möchte. Indem er für einen Mordfall wichtiges Material zwar bereitstellt, sich zugleich jedoch eine Galgenfrist genehmigt. So will er vermeiden, wegen Unterschlagung von Beweismitteln belangt zu werden.«
»Wer kann so vorgehen?«, fragte Belonoz. »Der Mörder? Oder ein Mitwisser?«
»Das wissen wir hoffentlich bald«, erwiderte Lily und griff zum Telefon auf ihrem Schreibtisch. Sie gab die Anweisung, Horvath auf der Stelle vorzuführen.
Es war kurz vor dreiundzwanzig Uhr, als der Voyeur in Begleitung von zwei Justizwachebeamten eintraf.
*
Einerseits konnte Leutnant Descho zufrieden sein. Unvermittelt, lediglich durch Zufall, war er zum Salzburger Verbindungsmann in der Wiener Morduntersuchung avanciert. Andererseits war es damit vorbei mit seinem bisher vergleichsweise beschaulichen Dasein.
Plötzlich sah er sich mit einer Fülle von Aufgaben konfrontiert, die zu erledigen waren. Das leichte Nörgeln seiner Frau war ihm nicht entgangen, als sie miteinander telefoniert hatten. Erneut musste ein Abendessen mit der Familie ausfallen. Aber Descho hatte Glück mit seiner Frau. Manchmal stichelte sie, doch das tat sie nur, um das Feuer in ihrer Beziehung nicht erlöschen zu lassen. Sie war achtzehn und zu schlank, weil magersüchtig, gewesen, als sie einander bei gemeinsamen Freunden getroffen hatten. Seitdem hing sie an ihm. Mit einer Selbstverständlichkeit und Großzügigkeit, die jeden Keim eines Gedankens an andere Frauen in ihm stets rasch erstickten.
Descho verdrängte alle Sorgen seine familiäre Harmonie betreffend und machte weiter. Alles, was in Sebastian Embergers Zimmer an interessantem Material konfisziert worden war, musste kontrolliert und analysiert werden. Die Briefe war er freilich schnell losgeworden.
Es blieb die zeitaufwendige Durchsicht sämtlicher Dokumente und Unterlagen. Darunter Vorlesungsskripten, Notizzettel und Rechnungen. Vor allem jedoch gab es den Computer und das Notebook. Diese Untersuchung verschlang Zeit.
Das Erfolgserlebnis stellte sich ein, als Descho die E-Mails inspizierte. Es hatte einiger Anstrengungen bedurft, Embergers Account auf einem Free-Mail-Server zu knacken. Doch das Ergebnis war überwältigend gewesen.
Embergers vollständiges Beziehungsleben spiegelte sich in den Mails wider. Die Beziehung zu jenem Mädchen wurde klarer, das eines Nachts bei der Polizeiinspektion aufgetaucht war. Und nicht zuletzt das Verhältnis zu Magdalena Karner erfuhr eine Neubewertung.
Ein enger Freund konnte identifiziert werden. Endlich ein Freund. Nicht irgendein Bekannter oder Verwandter. Solche besaß Emberger genügend. Als Sohn eines prominenten Salzburger Gastronomen tummelten sich in seiner Umgebung all jene, die irgendwie Zugang zu seinen Eltern gewinnen wollten und dadurch zu noch wichtigeren, noch einflussreicheren Personen. Emberger war wohl bewusst gewesen, dass er von manchen nur als Pfeiler angesehen worden war, über den sie ihre Brücken hatten bauen wollten.
Nun ein Freund. Einer, mit dem Emberger offenbar eine echte Gesprächsbasis besaß. So viel meinte Descho den E-Mails entnehmen zu können: Lukas Kloves.
Descho recherchierte. Kloves war zwei Jahre älter als Emberger und studierte Philosophie an der Universität Salzburg. Möglicherweise wies dies auf eine ernsthafte Persönlichkeit hin, überlegte Descho. Für Emberger mochte er eine Art Ratgeber gewesen sein. Ein Ersatz für einen großen Bruder. Emberger war ein Einzelkind gewesen, dessen Eltern zwar viel Geld verdienten, dafür jedoch ständig mit ihrem Restaurant beschäftigt gewesen waren.
Wohlstandsverwahrlosung, gemildert durch teure Geschenke, dachte Descho.
Im Computer fand Descho nichts Negatives über Kloves. Keine noch so kleine Polizeistrafe. Ein unbescholtener junger Mann, der nicht einmal einen Führerschein besaß. Descho suchte im Internet nach einer Telefonnummer, fand aber nichts. Er kontaktierte die Telekommunikationsbehörde in Wien. Und kam zu einer Handynummer.
Kloves meldete sich umgehend.
»Kann ich Sie zurückrufen?«, fragte er Descho mit einem Unterton, der zwischen Selbstbewusstsein und Skepsis schwankte. »Nur um sicherzugehen, dass Sie wirklich von der Polizei sind. Das soll kein Misstrauen sein, Herr Descho. Ich möchte nur nicht mit irgendwelchen Reportern reden.«
»Kein Problem«, sagte Descho und gab ihm seine Büronummer.
Die Vorsicht von Lukas Kloves gefiel ihm. Das deutete
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