Maedchengrab
Christine Esson neun zusammengetackerte Seiten überreicht, die er überflog, während Page weiterredete. Die letzten fünf Seiten bestanden aus dem Material, das sie in der Nacht zuvor zusammengetragen hatten, die anderen Seiten jedoch enthielten Angaben zu den beiden neuen Vermisstenfällen.
August 2007: Die fünfzehnjährige Jemima Salton war nach einer Party nicht nach Hause gekommen, ein Teil ihrer Kleidung wurde an einem Picknickplatz am Ufer von Loch Ness angespült. Die Party hatte in Invermoriston stattgefunden. Jemima wohnte ungefähr sechs Meilen davon entfernt in Fort Augustus. Sie hatte in den frühen Morgenstunden nach Hause laufen oder trampen wollen. Taucher waren entsandt worden, doch der See erstreckte sich über mehrere Meilen. Badeunfall lautete der Befund. Eine Leiche wurde nie gefunden, von Jemimas Handy und ihrer Tasche fehlte nach wie vor jede Spur. Ihre Familie ließ ihr Zimmer einem Altar gleich unberührt. Das Foto war um drei Uhr morgens geschickt, aber erst später entdeckt worden. Keine Nachricht. Daraufhin hatten ihre Eltern im Schlafzimmer nachgesehen. Keine Jemima …
November 2009: Die sechzehnjährige Amy Mearns hatte nach einem Streit mit den Eltern verschiedene Freundinnen in dem Dorf Golspie besucht. Sie fuhren zum nahe gelegenen Strand, und irgendwann war Amy nicht mehr da. Am darauffolgenden Tag wurde ihre Jacke entdeckt, sie hing an einem Zaun am Meeresufer, möglicherweise war sie dort hingeweht worden. Amy selbst wurde nie wiedergesehen.
»Badeunfall«, erklärte Page erneut. Rebus konnte seinen Blick auf sich spüren. »Anhand der Karte werden Sie unschwer erkennen, dass Golspie an der A9 liegt, nördlich von Tain und Dornoch. Invermoriston liegt an der A82, im Süden von Inverness, ist aber von der A9 leicht zu erreichen. Es kristallisieren sich zwei Muster heraus – die Fotos, außerdem die Straße –, und das müssen wir sehr ernst nehmen.« Er hielt inne. »Irgendwelche Anmerkungen bis hierhin, John?«
Rebus blickte erst jetzt von seiner Lektüre auf. »Die Straße ist stark befahren. Touristenverkehr ebenso wie Lastwagen und Transporter. Außerdem zieht sie sich. Wird nicht leicht, da Ermittlungen zu lancieren …«
»Trotzdem«, bellte Page, schien aber nicht zu wissen, was er eigentlich sagen wollte. Clarke half ihm aus der Verlegenheit, indem sie vorschlug, die verschiedenen Constabularys zu informieren und eine Art Gipfeltreffen abzuhalten.
»Da gibt es jede Menge Fragen der Zuständigkeit und des Protokolls«, sagte sie.
Page nickte.
» Wir müssen es genauso machen wie John mit den anderen Fällen«, meldete sich Esson zu Wort. »Mit den Angehörigen und Freunden sprechen, um ganz allgemein eine bessere Vorstellung vom Leben der Vermissten zu bekommen, speziell vom Tag ihres Verschwindens.«
Page nickte auch hierzu.
»Das Foto ist eigentlich alles, was wir haben«, setzte Ogilvie hinzu. » Wenn wir sicher sind, dass es Edderton ist, dann sollten wir die Gegend durchkämmen lassen und alle vernehmen, die dort wohnen oder sich regelmäßig dort aufhalten.«
Page blies die Wangen auf, sichtlich entmutigt angesichts der Aufgaben, die vor ihnen lagen.
»Etwas dürfen wir nicht vergessen«, schaltete sich Rebus ein. »Das erste Opfer, Sally Hazlitt – ich komme allmählich zu der Ansicht, dass sie vielleicht noch lebt. Möglicherweise ist sie nicht die Einzige.«
» Wie viel lassen wir davon an die Medien durchdringen?«, fragte Clarke Page.
»Zu diesem Zeitpunkt so wenig wie möglich.«
» Wenn wir mit der ganzen Meute in Edderton einfallen, könnten sie’s trotzdem spitzkriegen.«
» Wir müssen zuallererst mit der Grampian Constabulary sprechen – oder gehört Edderton zu Northern?«
»Letzteres«, erwiderte Rebus.
» Wir müssen außerdem so schnell wie möglich mit den Angehörigen von Jemima Salton und Amy Mearns sprechen«, sagte Clarke. »Sie befanden sich mehrere Jahre lang in dem Glauben, ihre Töchter seien ertrunken. Jetzt kommen wir auf einmal damit, dass sie möglicherweise entführt und ermordet wurden.«
»Guter Hinweis.« Page rieb sich das Kinn. » Wir brauchen eine Prioritätenliste – kann ich dir das übertragen, Siobhan?«
Sie nickte. »Du wirst den Chief Constable davon in Kenntnis setzen wollen«, sagte sie und gab sich alle Mühe, es nach einer Erinnerung und nicht nach der dringenden Empfehlung klingen zu lassen, die es in Wirklichkeit war.
»Ich rufe ihn an«, sagte Page und sah auf die Uhr. Einen Augenblick später
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