Mädchenhass und Jungenliebe (Junge Liebe )
eingeschlafen.
Ich hatte wieder von Henning geträumt. Wir lagen zusammen in meinem Bett, ich hielt ihn fest in meinen Armen und kuschelte mich an ihn. Ich streichelte seine wunderschönen, engelsgleichen blonden Haare und küsste ihn.
Jetzt hieß es meiner Mutter gegenüber zu retten, was zu retten war. „Ich glaub, ich hab wirklich irgendwas, 'ne Grippe oder so.“
„Das glaub ich auch. Du bleibst heute erst mal im Bett. Ich werde sehen, was ich noch an Medizin für dich da hab. Was hast du denn, Husten, Schnupfen. Kopfschmerzen?“
Ich hatte höllische Kopfschmerzen, nur wusste ich genau, dass einzig und allein der Wodka dafür verantwortlich war.
„Irgendwie von allem ein bisschen.“
Was ich hatte, war mir klar. Das Problem war, dass ich meiner Mutter nicht davon erzählen konnte.
Ich hatte Liebeskummer und zwar in der schlimmstmöglichen Variante.
Ich blieb den ganzen Samstag im Bett und - selbstverständlich - den ganzen Sonntag auch.
Als ich am Montag aufwachte, fühlte ich mich fit. Ich hatte zwar die halbe Nacht nicht geschlafen, weil ich an Henning gedacht und mir vorgestellt hatte, wie schön es wäre, ihn neben mir liegen zu haben und im Arm halten zu können. Aber trotzdem wäre ich ohne weiteres in der Lage gewesen, in die Schule zu gehen.
Ich wollte - auch wenn sich das vielleicht nicht gehört - die Sorge meiner Mutter ausnutzen und mit einer Entschuldigung in der Tasche ein paar Tage schwänzen.
„Meinst du, du kannst in die Schule gehen?“, fragte sie mich, während ich im Bett lag und sie fertig war, um zur Arbeit zu gehen.
„Glaub nicht.“
Sie hatte nicht viel Zeit; das war gut.
„Pass auf, bleib hier, ich schreib dir für heute und morgen eine Entschuldigung. Aber wenn du dann immer noch krank bist, schick ich dich zum Arzt, verstanden?“
In solchen Momenten freue ich mich immer, die beste Mutter der Welt zu haben. Ich glaube kaum, dass viele Mütter ihre Kinder so großzügig auf den Unterricht verzichten lassen.
Leider sind diese Momente nicht viel häufiger als die Momente, in denen ich meine Mutter am liebsten ins Universum schießen würde.
Mal hasse ich sie, mal liebe ich sie. Vielleicht war das genau der signifikante Unterschied zu meiner Liebe zu Henning. Ich könnte mir keinen Moment vorstellen, in dem ich ihn hassen würde. Aber die Liebe mit all ihren Varianten und Ausprägungen ist ein Phänomen für sich. Ich kann darüber nachdenken, wie ich will. Ich komme zu keinem Entschluss.
Meine Mutter liebte ich, weil sie meine Mutter war und das für mich tut, was eine Mutter für ein Kind tun sollte.
Meinen Vater kann ich nicht lieben, weil ich ihn überhaupt nicht mehr richtig kenne. Geschwister oder Verwandte, mit denen ich eine tiefere Beziehung habe, habe ich auch nicht.
Meine besten Freunde liebte ich in gewisser Weise auch, weil sie immer, oder zumindest meistens, für mich da sind.
Und Henning? Er hat nie wirklich etwas für mich getan und in dem größten Teil meines Lebens keine Rolle gespielt. Ich hatte nie wirklich tiefe Einblicke in sein Leben und weiß genau, dass er nie mehr als Freundschaft für mich empfinden würde.
Und trotzdem liebe ich ihn. Wer weiß, vielleicht ist es falsch, so zu lieben, vielleicht ist es aber auch die einzig wahre Art zu lieben.
Jedenfalls blieb ich den Montag und Dienstag zu Hause. Am Dienstag hatte meine Mutter Spätdienst, also ging sie erst mittags fort.
Sobald sie weg war, zog ich mich aus, sprang unter die Dusche und erfrischte mich erst mal eine halbe Stunde.
Nicht zur Schule gehen zu müssen, ist zwar optimal, aber nur im Bett rumliegen zu müssen, macht auch ganz schön kaputt.
Ich trocknete mir die Haare, und schmierte mir etwas Gel rein. Ich fand meine dunkelblond bis braunen Haare schön und schon wieder dachte ich an Henning und fragte mich, warum er sich nicht für mich entscheiden können sollte, denn so schlecht sah ich ja wirklich nicht aus.
Ich zog mir eine Jeans und ein T-Shirt an und setzte mich an den PC.
Für einen Moment dachte ich, die Kummerkasten-Tante hätte mir geantwortet, aber ich musste lesen:
Lieber David,
Frau Dr. Hürtel ist zurzeit mit sehr vielen Zuschriften beschäftigt, so dass sie nicht jede bearbeiten kann. Wir bitten um dein Verständnis, dass dein Problem in absehbarer Zeit nicht bearbeitet werden kann.
Liebe Grüße
i. A.
die Redaktion
Mir war eh egal, ob die meine Mail überhaupt gelesen hatten oder per Zufallsprinzip
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