Maedchenlose
lieblichen, lauen Abend dahinrollten, »wie sie Elly und Sie verbindet, ich habe sie auch nicht vermißt, aber ich glaube doch, daß etwas Schönes und Poetisches darin liegt.«
»O es ist unsäglich süß und beglückend«, rief Nora, »auf die Liebe eines gleichgestimmten Herzens, auf seine Teilnahme am Größten, wie am Kleinsten, so sicher bauenzu können! zu wissen, daß es uns immer versteht, sich stets in uns hineindenken kann, unter allen Umständen unsere Partei ergreift. Ich habe von früher Kindheit an in einem so liebevollen und vertraulichen Verhältnis zu meiner lieben Mutter gestanden, wie vielleicht nicht viele Mädchen, und doch hätte ich Ellys Freundschaft nicht entbehren mögen; man sieht eben alles mit gleichen Augen an und vieles ganz anders, als ältere und erfahrenere Menschen. – Wie ist es dir denn gegangen, meine liebe Erna?« fuhr sie zu dieser gewendet fort, »bist du vergnügt gewesen, und hast du unter den kleinen Mädchen eine Freundin wie Elly gefunden?«
»Wir haben sehr schön gespielt«, erwiderte Erna mit ihrem gewöhnlichen Ernst, »aber eine Freundin brauche ich nicht, ich habe ja dich und die Mama!«
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»Nichts vorgefallen?« fragte Frau v. Westheim, als der Wagen vor dem Hause hielt und der Diener den Schlag aufmachte. »Nichts, gnädige Frau, nur für das Fräulein ist eine telegraphische Depesche angekommen.«
»O Gott, was mag geschehen sein!« sagte Nora angstvoll, »muß denn jeder auserwählte Tag mit einer Unglücksbotschaft enden?«
Sie eilte die Treppe hinauf und betrachtete zitternd das verhängnisvolle Telegramm, ehe sie wagte, es zu öffnen. Sein Inhalt lautete: Alle Angelegenheiten glücklich geordnet, wir verlassen England, in acht Tagen zu Hause, komm so bald du kannst. Deine Mutter.Nora vermochte die frohe Kunde kaum zu fassen, sie kam so plötzlich und überwältigend.
»Nun, liebe Nora«, fragte Frau v. Westheim, die ihr gefolgt war, »ist es etwas Gutes?«
»Meine Eltern kommen, in acht Tagen soll ich sie wiedersehen und bei ihnen sein! O lieber Gott, ich danke dir!« stammelte Nora, die ihrer Worte kaum mächtig war.
»Das ist in der That eine frohe Botschaft, ich gratuliere Ihnen von Herzen dazu. Was wird es für Sie und für Ihre Eltern für eine Freude sein, daß diese lange Trennung ein Ende hat.«
»Aber Nora, wenn du ihnen guten Tag gesagt hast, kommst du wieder zu uns«, sagte Erna zuversichtlich, »du bleibst nur zum Besuch bei ihnen.«
»Nein, mein Liebling«, entgegnete Nora ernst, »dann bin ich wieder das Kind meiner Eltern und bleibe für immer bei ihnen.«
»Und wir bleiben hier allein?« rief Erna ängstlich, »o Mama, das kann doch nicht sein, sage Nora, wir können nicht ohne sie leben.«
»Meine kleine Erna«, sagte Frau v. Westheim, indem sie das Kind auf ihren Schoß nahm, »du wirst es auch lernen müssen, daß jedes neue Glück mit einem Schmerz erkauft werden muß, daß nur zu oft der Gewinn des einen einen Verlust für den andern bedeutet. Wir dürfen Nora nicht halten, sie gehört ihren Eltern, wie du uns gehörst. Möchtest du den Papa und mich verlassen und mit deiner lieben Nora gehen?«Die Kleine schlang ihre Arme um den Hals der Mutter. »Nein, meine Mama, ich bleibe bei dir. Nora hat ihre Eltern, aber du hast nur mich; ich will dich noch lieber haben, wenn Nora fortgeht.«
Mit gefalteten Händen und feuchten Augen stand Nora da, in Gedanken verloren. »Wie hätte ich es je für möglich gehalten«, sagte sie endlich, »daß bei der Aussicht auf die baldige Rückkehr meiner Eltern etwas anderes, als Jubel und Wonne mein Herz erfüllen könnte! Und nun will die Wehmut des Scheidens von hier den Jubel beinahe unterdrücken. Ich komme mir lieblos und undankbar gegen die teueren, geliebten Eltern vor, die mich sechzehn Jahre lang gehegt und geliebt haben, während ich hier doch nur wenige Monate lebte.«
»Nein, meine liebe Nora«, entgegnete Frau v. Westheim herzlich, »machen Sie sich keine Skrupel über ein natürliches Gefühl. Jede, die ihr Vaterhaus verließ, um dem Manne ihrer Liebe zu folgen, hat ähnliches durchgemacht, den gleichen Zwiespalt der Empfindungen zwischen dem Alten und dem Neuen. Jedes hat sein Recht; gönnen Sie uns die Wehmut des Abschiedes, die Sie fühlen, es ist die Anerkennung unserer herzlichen Liebe für Sie. Sind Sie erst bei Ihren Eltern, dann werden Sie es voll empfinden, daß das Ihr rechter Platz ist und alle anderen Ansprüche in zweiter Reihe stehen. Aber wir werden Sie sehr
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