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Maedchenlose

Titel: Maedchenlose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Augusti
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vermissen, meine liebe Nora!« –
    Der Tag der Trennung war gekommen, mit thränenvollen Augen ging Nora umher, um Abschied zu nehmen; sie fühlte es an dem Kummer, der ihr Herz erfüllte, wie lieb ihr alles hier geworden war, wie heimisch sie sich gefühlt hatte. Frau v. Westheim und Erna begleiteten sie bis zur Bahnstation; weinend hing das Kind an ihrem Halse und wollte sie nicht von sich lassen; schmerzlich bewegt winkte Nora den beiden aus dem Coupéfenster die letzten Grüße zu. Aber je näher sie der Vaterstadt kam, um desto höher schlug ihr Herz, und als sie den Zug verließ und ihren Eltern in die Arme sank, da empfand sie nichts anderes, als höchste Freude und dankbares Entzücken, und fühlte es tief, daß hier ihre wahre Heimat sei. – –
    Hier verlassen wir Nora. Ein Lehr- und Wanderjahr lag hinter ihr; sie hatte fremde Menschen und Verhältnisse kennen gelernt, Schwierigkeiten überwunden, Trübes erlebt und ernste Kämpfe durchgestritten. In allem hatte sie es bestätigt gefunden, daß Gottes Vaterhand allezeit über uns ausgestreckt ist, um uns zu schützen und zu leiten, um Trauer in Freude zu verkehren, – daß überall Menschenherzen voll Liebe und Teilnahme schlagen, wenn wir nur den rechten Weg zu ihnen zu finden wissen, und daß jedes Leiden, das in Geduld und Ergebung getragen und überwunden wird, schließlich zu unserm Besten dienen muß. Diese Erfahrungen waren ihr ein kostbarer Schatz, der sie durch ihr ganzes Leben begleitete und ihr in allen Wechselfällen ihres Geschickes Trost, Freude und wahre Erhebung brachte.
    2. Buch
Erstes Kapitel

Alte Bekannte
    An dem Fenster eines hochgelegenen Hauses zu M. stand ein junges Mädchen und ließ ihre Blicke mit gespannter Erwartung hinausschweifen über die Chaussee, die wie ein langes weißes Band im hellen Nachmittagssonnenscheine vor ihr lag. Jedes wirbelnde Staubwölkchen ließ sie schärfer hinsehen, aber stets war es eine Enttäuschung, der erwartete Wagen wollte immer noch nicht erscheinen. Die ernsten Züge des etwas farblosen jungen Antlitzes kommen uns nicht ganz fremd vor; diese großen, dunkeln Augen, diese schwarzen Haare, welche die niedrige Stirn scharf abgrenzen und dem Gesicht leicht etwas Finsteres geben, erscheinen uns wie gute Bekannte aus alter Zeit; aber freilich sind zehn Jahre vergangen, seit wir sie gesehen haben, und zehn Jahre sind eine weite Spanne Zeit, wenn es sich um die Entwickelung eines Kindes handelt. Es ist Erna v. Westheim, die vor uns steht; aus dem häßlichen Kinde ist ein schlankes junges Mädchen geworden, das auf den ersten Blick vielleicht nicht für hübsch gelten mochte, wenn ein aufmerksamer Beobachter es auch für interessant erklären würde. Jetzt hat sie den Wagen erblickt, der einenersehnten Gast zu ihr führen soll; ein heller Strahl der Freude überfliegt ihr Gesicht und verwandelt es in einem Moment, wie ein Sonnenblick, der plötzlich über einer nebelgrauen Landschaft erglänzt; die großen Augen strahlen, die festgeschlossenen Lippen öffnen sich und lassen zwei Reihen blendend weißer Zähne sehen. – Erna ist doch hübsch geworden und mehr als das. Auch ihr Gang ist nicht mehr so schleppend, wie in der Kindheit; die sorgfältigste Pflege, die kunstgerechteste Behandlung haben den Fehler beinahe ganz überwunden; die fast unmerkliche Neigung erscheint mehr als eine Eigentümlichkeit, als wie ein Mangel an Grazie. Sie eilt die Treppe hinab und faßt Posto auf den breiten steinernen Stufen vor der Hausthür; aber ihre Geduld wird auf eine harte Probe gestellt, die Pferde können die Strecke nicht so pfeilschnell durchfliegen, wie ihr forschender Blick; es dauert lange, bis sie den Wagen die steil ansteigenden Straßen emporgezogen haben und endlich vor der Thür halten. Der Diener springt vom Bock und hilft einer Dame heraus, welche Erna zärtlich in ihre Arme schließt, schnell verschwinden beide in der Thür des Hauses. Diesmal bereitet uns das Wiedererkennen keine Mühe; die zehn verflossenen Jahre haben in Nora Diethelm keine andere Veränderung hervorgebracht, als daß alles an ihr voller und gereifter, der sanfte friedliche Ausdruck des lieben Gesichtes vertiefter erscheint, doch ist nichts Verblühtes in ihrer Erscheinung, es ruht ein Hauch unberührter Frische darauf, der sie jünger erscheinen läßt, als sie wirklich ist.
    Die beiden Mädchen – Freundinnen trotz der Verschiedenheit der Jahre – saßen in Ernas traulichem Zimmer beisammen. »Wie reizend sieht es bei dir

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