Maedchenlose
mein Haus geführt. Ich hoffe, auch Sie sollen es von nun an nicht mehr beklagen dürfen, daß Sie zu uns gehören.«
Mit dieser Stunde begann ein neues Leben für Nora; zwar äußerlich betrachtet, veränderte sich nicht viel, und doch empfand sie es täglich und stündlich mit froher Dankbarkeit, daß alles anders geworden sei. Jetzt wurde sie wirklich wie ein Glied des Hauses angesehen, und wenn sie Ernas Liebe und Gesellschaft nicht mehr so ausschließlich genoß, wie früher, so gewann sie dafür die Liebe und Teilnahme einer Schwester, denn wie eine solche wurde sie fortan von Frau v. Westheim behandelt.Die größte Veränderung aber war mit dieser letzteren selbst vorgegangen. Der Gram um das verstorbene Kind, der nie durch Geduld und Ergebung überwunden, sondern nur gewaltsam zurückgedrängt war, hatte ihr ganzes Innere gleichsam verknöchert und ihrem Wesen etwas Herbes und Kaltes gegeben. Nun war der Bann gebrochen; ihre natürliche Liebenswürdigkeit, die durch Schmerz und Sorge geläutert war, konnte sich frei entfalten. Die gemeinsame Erinnerung an den verlornen Liebling war der sicherste Weg, auf dem sich die Herzen von Mutter und Kind zusammenfanden; sie wurden nicht müde, von Adda zu sprechen, und Frau v. Westheim erstaunte oft über die zähe Treue, mit der Erna alle Eindrücke ihrer frühesten Jahre festgehalten hatte. Längst war jene des übermäßigen geselligen Treibens überdrüssig, es hatte ihr nur als Betäubungsmittel für den nagenden Kummer gedient; jetzt bot ihr Ernas, immer noch der schonendsten Vorsicht bedürftiger Zustand eine willkommene Gelegenheit, sich für diesen Winter ganz davon zurückzuziehen. Auch ihren Mann gewann sie wieder für die stillen Freuden des häuslichen Lebens, das sie durch Musik, gemeinsame Lektüre und den Verkehr mit wenigen nahen Freunden angenehm zu beleben wußte. Nora nahm an allem teil und fühlte sich in diesem geistig anregenden Leben so glücklich und befriedigt, wie es ferne von den Ihrigen überhaupt möglich war.
Elftes Kapitel
Wiedersehen und Abschied.
So waren in schöner Harmonie die Wintermonate verflossen, und wieder zog der Frühling über das Land, mit seiner ganzen reichen Herrlichkeit von Knospen und Blüten. Nora stand am Fenster ihres Zimmers und blickte sinnend hinaus über die grüne Niederung, die dicht hinter der Stadt beginnt und sich weithin dehnt mit üppigen Feldern, schwellenden Wiesen und einzelnen, verstreuten Häusern. Wie ein silbernes Band zieht sich der Fluß durch die Ebene, träumerisch folgten ihre Blicke seinem Lauf; zog er doch nach demselben Ziel, das ihre Gedanken so oft aufsuchten, nach der lieben Vaterstadt, in deren Nähe er sich in den Schoß der blauen See ergießt. Längst war ein Jahr verflossen, seit ihr Vater von den Seinigen Abschied nahm, ein Jahr seit ihrer Einsegnung, seit der Abreise ihrer Mutter! Wenn sie es damals hätte ahnen können, daß es ein Abschied auf so lange, unabsehbare Zeit sein sollte, sie hätte auch wohl wie Elly gesagt, sie könne es nicht ertragen.
»So ganz versunken, Nora? – und Thränen in den Augen? woran denken Sie?« fragte Frau v. Westheim, die unbemerkt eingetreten war.»An die Heimat und an meine Eltern!« war die wehmütige Antwort.
»Armes Herz! aber nur getrost, auch dieses Wiedersehen wird kommen – früher, als es mir lieb sein wird. Inzwischen wenden Sie Ihre Gedanken freundlich der Gegenwart zu; wir haben eben eine dringende Einladung von Frau L. erhalten, sie auf einen ganzen Tag zu besuchen, um ihren schönen Garten in seiner Frühlingspracht zu genießen.«
»Auch ich?« fragte Nora zögernd.
»Auch Sie – ich argwöhne sogar, daß Sie eigentlich die Hauptperson, Erna und ich nur Anhängsel sind; Sie wissen wohl, welch herzliches Interesse Frau L. an Ihnen nimmt, sie ist sehr nahe mit meiner Cousine Mansfeld befreundet.«
Es war ein köstlicher Frühlingstag, als die beiden Damen sich mit Erna in den Wagen setzten, um nach dem L.'schen Gute hinauszufahren; der Weg war derselbe, den Nora damals im Postwagen zurückgelegt hatte, aber mit wie verschiedenen Gefühlen betrachtete sie jetzt die Gegend! Damals lag die nächste Zukunft vor ihr wie ein unbekanntes Land, in dem sie sich selbst einen Pfad suchen sollte; jetzt wußte sie, daß sie darin eine liebe, sonnige Stätte besaß, die dadurch nicht an Wert verlor, daß sie manches hatte thun und dulden müssen, um sie zu erwerben. Wie lieblich prangte heute der Wald in seinem Frühlingsschmuck, wie
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