Maedchenlose
ein, in denen es auffallend niedlich aussah, und führten es im Triumph zu Frau Neßler, welche von Kissen unterstützt im Bette saß und etwas weniger blaß aussah als seither. Sie dankte den lieben Fräuleins mit einer solchen Inbrunst und so vielen Thränen, daß ich ganz beschämt war, und bewunderte Lieschen dann mit solcher Ausdauer und Überschwenglichkeit, daß Fräulein Lietzner der Sache ein Ende machte. Vormittag erschien der Mann, um die Seinen zu besuchen; er macht einen recht intelligenten Eindruck und war sehr dankbar, aber auch sehr niedergeschlagen; der Verlust des Häuschens und der Kuh ist doch ein sehr schwerer für die Familie. Werdoch auch hier noch helfen könnte! Allerlei Pläne und Gedanken schwirren mir durch den Kopf. –
Zum Nachmittag hatten wir eine Einladung auf ein Nachbargut; Fräulein Lietzner fuhr mit uns beiden und den Kindern zum Kaffee hin, Herr Klingemann und Herr v. Rothenburg folgten später. Wir fanden all die jungen Mädchen und Herren dort, die an unserer hübschen Partie nach dem Johannesplatz teilgenommen hatten, doch fühlte ich mich ziemlich fremd unter ihnen und war herzlich froh, als mich Rothenburg zu Tisch führte. Er war ungewöhnlich gut aufgelegt, und wir unterhielten uns vortrefflich; wenn er seinen etwas blasierten Ton ablegt, kann er sehr interessant sein. Er erzählte mir manches von seiner schönen Heimat und seinen Eltern, deren einziger Sohn er ist, und sprach mit Zärtlichkeit von seiner jüngeren Schwester; sie wäre ein liebes kleines Ding mit großen blauen Kinderaugen, das mit einer ganz wunderbaren Liebe an ihm hinge. Ich sagte, daß ich das gar nicht merkwürdig fände; wenn ich einen älteren Bruder hätte, würde ich ihn auch unsäglich lieben, freilich müßte er aber auch ein Musterbild jeglicher Tugend sein, groß und schön an Leib und Seele.
»Also wohl ganz anders, als ich?« fragte er.
»Er dürfte Ihnen an Unerschrockenheit und Energie bei Feuersbrünsten ähneln, aber gegen meine Freundinnen müßte er viel liebenswürdiger und toleranter sein.« Er lachte, und wir sprachen von andern Dingen.
Fünftes Kapitel.
Verschiedene Stimmen.
Den 29. Juni.
Heute war ein fremder Herr hier, der uns bei der Vesper als Regierungsrat Freyenstein vorgestellt wurde, ein sehr stattlicher, gut und nobel aussehender Mann. Die Unterhaltung war lebhafter als gewöhnlich; es wurde viel von einer Verlobung gesprochen, die vor kurzem in der benachbarten Stadt gefeiert worden und der nur die Bekanntschaft eines einzigen Tages vorhergegangen war. Die alte Frau Klingemann sprach sich mit großer Entschiedenheit dahin aus, daß sie solche Verbindungen nur als verwerflichen Leichtsinn betrachten könne, von Liebe sei dabei keine Rede, denn die Liebe müsse langsam auf dem sichern Grunde genauer Bekanntschaft und gegenseitiger Achtung erwachsen.
»Verzeihung, meine gnädigste Frau, wenn ich Ihnen widerspreche,« sagte der Regierungsrat, »ich bin fest überzeugt, daß die Liebe in einem jungen empfänglichen Herzen oft nur eines Augenblickes bedarf, und alle Anforderungen des Verstandes kühn überspringt. Ich habe es an mir selbsterfahren, daß ich mich einmal in dunkler Nacht in eine Stimme verliebte, und wäre es mir nur gelungen, die Inhaberin aufzufinden, ich hätte mich, ohne weiter zu fragen, mit ihr verlobt, in der festen Überzeugung, daß diese Stimme nicht trügen könne.«
»In eine Stimme?« hieß es von mehreren Seiten, »wie ging das zu?«
»Es ist lange her,« erzählte er, »als ich einmal mit mehreren Genossen aus einer heitern Gesellschaft kam. Es war eine dunkle Novembernacht und die Straßenbeleuchtung sehr mangelhaft, da stießen einige von uns auf ein weibliches Wesen; man erlaubte sich allerlei Scherzworte und neugierige Fragen, auf welche das Mädchen keine Antwort gab. Plötzlich trat sie auf mich zu, der ich ein Paar Schritte entfernt stand, und bat mich, ihr zu helfen, sie müsse zum Arzt, es gälte ein teures Leben. Ich leistete diesem Appell natürlich bereitwillig Folge und führte sie bis an die Thür des Doktors, wo sie mir mit wenigen Worten dankte. Aber was lag nicht alles in den kurzen Worten, die sie gesprochen! Welch ein Heldenmut, welche Aufopferung, daneben ein ehrendes Vertrauen gegen mich und neben dem allen ein so rührender Ton der Hilflosigkeit und Angst, der von großer Jugend sprach. Sie konnte nicht mehr als sechzehn oder siebzehn Jahre alt sein. Monatelang habe ich sie gesucht, aber wenn ich auch eine Gestalt
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