Maedchenlose
lautes Weinen aus, beruhigte sich aber allmählich und erzählte uns, so gut sie konnte, ihr Vater sei ein Zimmermann, der auswärts arbeite und nur zum Sonntag nach Hause käme. Was würde er sagen, wenn er nun käme und nichts fände? Das Haus wäre verbrannt und die Kuh auch; Mutter hätte sie aus dem Stall ziehen wollen, aber da sei das Dach heruntergefallen, und hätte der fremde Herr sie nicht hervorgezogen, so wäre sie auch verbrannt. Schon bei den letzten Worten fielen dem Kinde die Augen zu, und wenige Minuten später lag es im tiefsten Schlaf. Wir deckten es warm zu und setzten uns flüsternd ans Fenster.
»Wie ich darauf brenne, näheres von dem Feuer zu hören!« sagte Rose. »Ich könnte darauf schwören, Rothenburg hat sich wie ein Held benommen.«
»Meinen Sie? für gewöhnlich macht er doch einen recht blasierten Eindruck.«
»O, das ist nur ein Anschein, den sich diese vornehmen jungen Herren geben, welchen das Glück von der Wiege an gelächelt hat; in der Stunde der Gefahr entwickeln sie einen Löwenmut.«
Als wir abends zu Tische kamen, war Rothenburgs Platz leer; auf die Frage, wo er sei, antwortete der Inspektor: »Er schläft, und da er den ganzen Tag übermenschlich gearbeitet hat, so mochte ich ihn nicht wecken.« Rose nickte mir verständnisvoll zu. Auf Frau Klingemanns Bitte erzählte der Beamte ungefähr folgendes: »Es war die höchste Zeit, daß wir mit unserer Spritze kamen, das Feuer raste wie toll und drohte das ganze Dorf zu verzehren; die Leute hatten ganz den Kopf verloren, jeder war nur auf sein Eigentum bedacht. Herr v. Rothenburg stellte sich gleich an die Spitze, und da er zugriff, wie der geringste Mann, und die verständigsten Anordnungen traf, so fand er bei den Dorfbewohnern allmählich Gehorsam, und seiner Umsicht gelang es, das Feuer auf einen kleinen Teil des Dorfes zu beschränken. Als wir schon glaubten, die Gefahr sei vorüber, rennt auf einmal die Frau, die wir herbrachten, auf einen brennenden Stall zu, reißt die Thür auf und will ihre jämmerlich brüllende Kuh retten. Es war die höchste Thorheit, denn das Dach stürzte im nächsten Augenblickzusammen, und wäre nicht Rothenburg zugesprungen und hätte die Frau aus den brennenden Trümmern herausgerissen, sie wäre ebenso elend verbrannt wie die Kuh. Ihm selbst war der ganze Rock versengt, auch Haare und Bart, und es war ein Wunder, daß nicht ein größeres Unglück geschah.«
Wir drückten uns heimlich die Hände, und als Frau Klingemann uns beauftragte, dafür zu sorgen, daß Herr v. Rothenburg ein gutes Abendbrot erhielte, eilten wir hocherfreut in die Speisekammer und suchten das Beste zusammen, was wir finden konnten. Rose arrangierte alles aufs zierlichste, eine Flasche Wein wurde dazu gestellt und das Theebrett ringsum mit frischen Lorbeerblättern besteckt, die wir heimlich von Tante Emmas großem Baum abpflückten.
»Sehen sie, daß ich recht hatte?« sagte Rose mit leuchtenden Augen, »daß er wirklich ein Held ist? O ich wollte, ich könnte ihm meine Verehrung, meine Dankbarkeit für seine edle That irgendwie kundgeben! Es ist so herrlich, solchen großen Menschen zu begegnen! – Wenn nur die versengten Haare seiner Schönheit keinen Abbruch thäten! Aber nein, sie können sie nur erhöhen, sind sie doch die redenden Zeugen seiner Großherzigkeit.«
Rose erschien mir höchst liebenswürdig in ihrer Begeisterung, die ich innerlich teilte, ohne ihr einen so lebhaften Ausdruck zu geben. Ich hoffe nur, es ist nicht Liebe, was sie für ihren Helden fühlt, denn ich fürchte sehr, die würde doch nicht erwidert werden.
Am nächsten Morgen kam der Doktor und erklärte die Verletzungen der Frau Neßler, so heißt die kranke Frau, zwar für sehr bedeutend, aber nicht gefährlich, bei sorgfältiger Pflege könne sie in einigen Wochen hergestellt sein, doch wäre ein abermaliger Transport bedenklich. So wurde denn beschlossen, sie und ihr Kind hier zu behalten und sie vollständig auszupflegen. Ist das nicht schön und gut? Fräulein Lietzner war noch nicht einen Augenblick vom Krankenbett gewichen, sie hatte die ganze Nacht dort gewacht. Und das alles thun die Leute hier so einfach, als ob es ganz selbstverständlich wäre; deshalb wirkt ihr Beispiel mehr, als die eindringlichste Predigt über die Barmherzigkeit. Rose zog mich auf die Seite. »Was meinen Sie, Erna, wollen wir beide nicht das kleine Lieschen adoptieren, solange sie hier im Hause ist? Ich denke, Sie haben Geld, ich habe freilich nur
Weitere Kostenlose Bücher