Maengelexemplar
Tod grad nicht so gut umgehen. Ich bin ein großes Mädchen, gehe allein nach Hause, lege mich brav ins Bett, denn morgen habe ich wieder viel zu tun: Nägel im Baumarkt kaufen, Kaffee mit Mama trinken, eine Verabredung zum Abendessen habe ich auch, und zwischendurch mit meinem Pfleger Karten spielen. Ich schlafe sehr schnell ein.
Der nächste Morgen ist ein Arschloch. Ein altbekanntes Arschloch. Ich wache auf, und Unglück stürzt über mich herein.
Und täglich grüßt das Murmeltier
, nur dass ich einen Sonny-und-Cher-plärrenden Radiowecker jederzeit der immer wiederkehrenden Trauer deutlich vorziehen würde.
Ich komme nicht aus dem Bett, starre dumpf die Decke an und rauche.
Das Telefon klingelt, Papa ist dran, er ruft von der Nordsee an, wo er regelmäßig als
Head of Irgendwas
die Außenstelle einer großen Versicherungsagentur managt. »Tochter, wie geht es dir?«, fragt er fröhlich. Alle zwei Monate haben wir so ein Telefonat, in dem jeder seiner Rolle als Vater/Tochter nachzukommen versucht. Wir haben uns lieb, aber eigentlich brauchen wir nicht viel Kontakt miteinander. So ist meine ganze Familie. Mama und ich sehen uns auch selten und finden es beide vollkommen super so.
»Ach, nicht so gut grade«, untertreibe ich. »Philipp und ich haben Schluss gemacht, und vorgestern hatte ich so eine Art Nervenzusammenbruch und war in der psychologischen Notaufnahme. Und bei dir so?« Ich weine dabei die ganze Zeit und weiß gar nicht, ob ich grad angefangen habe oder seit dem Aufwachen durchweine. Komisch, wie mein Hirn trotzdem noch heile Welt spielen will.
Papa ist kurz sehr still. Und dann ändert sich sein Ton: »Karo, jetzt hör mal gut zu«, sagt er sehr bestimmt.
»Ja«, schluchze ich laut.
»Karo. Du tust dir bitte auf keinen Fall etwas an. Das wäre egoistische Scheiße. Verstehst du mich?«
Huch, jetzt ist er aber streng, der Papa. Was er bloß hat?
»Natürlich nicht, ich bin nur so dolle traurig und kann gar nicht damit aufhören! Aber deswegen will ich mich noch lange nicht umbringen.« Ich verschweige besser mein Erlebnis mit der Schere.
»O.k. Gut. Was machst du denn heute noch?«, fragt Papa. Er scheint mir plötzlich sehr wachsam.
Ich schniefe und sage, dass ich mit Mama zum Kaffee verabredet bin.
»Das ist gut«, sagt er.
»Und Klopapier muss ich kaufen und Nelson treffen und später Nudeln essen mit den anderen«, füge ich hinzu. Er soll sehen, dass alles nicht so schlimm ist, ich werde mich nicht in die Wanne setzen und mit dem Ladyshave spielen.
Meine To-do-Liste beeindruckt ihn wenig, er wiederholt, dass er es gut findet, dass ich Mama treffe.
»Gut, ich muss jetzt auch los«, versuche ich, ihn abzuwimmeln. Schließlich habe ich ja wirklich viel zu tun heute.
»Karo, denk bitte daran, was ich eben gesagt habe. Und ich habe dich sehr, sehr lieb!«
»Ich dich auch, Papa«, sage ich. Jetzt bloß nicht wieder weinen. Daran hat echt niemand Interesse.
Nach dem Weinen ist dieser Tage vor dem Weinen, aber
zwischen
dem Weinen ist es immer ganz o.k. Wegen der Leere. Ich nutze die Halbzeit, um meinen hohlen Körper zu duschen und zu kleiden, und fahre zu Mama. Ich hab ja schließlich nicht den ganzen Tag Zeit.
Mama und ihr Leben hatten es lange Zeit nicht leicht miteinander. Sie hat mit zwanzig geheiratet, ein Jahr später eine Tochter bekommen. Ich war ein Wunschkind, jedenfalls hatte man sich angeblich sehr auf mich gefreut. Leider war mein Vater wohl nicht so gut vorbereitet auf ein schönes
Für immer
: Er studierte noch und entdeckte bald den Reiz unverheirateter Frauen. Meine Eltern trennten sich, als ich acht war. Ich weiß nicht besonders viel über ihre Probleme, aber Mama war oft unglücklich. So unglücklich, dass sie irgendwie vergaß, ausreichend liebevoll zu mir zu sein.
Meine Erinnerungen an die Mama meiner Kindheit sind eher ängstliche als liebevolle. Sie war immer eine Respektsperson. Sie wurde oft laut, und ihr rutschte schnell die Hand aus. Ich musste früh relativ selbständig sein. An meinem ersten Schultag wurde ich nicht, wie die anderen Kinder, zur Schule gebracht, sondern ging allein. Ich stand allein auf, machte mir allein Frühstück und die Waschlappen nass, sodass es aussah, als hätte ich mich auch allein gewaschen. Mama schlief um diese Zeit noch.
Ich erinnere mich an eine Szene, die jedem Therapeuten die Hose nass machen würde: Ich war etwa acht Jahre alt und wollte morgens zu Mama ins Bett kuscheln gehen oder einen Tschüssi-Kuss abholen oder
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