Maengelexemplar
tatsächlich ganz entspannt werde. Entspannung durch Langeweile.
»Ich balle beide Hände zur Faust, ich beuge beide Arme fest zu den Schultern hoch und spüre die Kraft meines Körpers. Ich atme tief ein und aus. Ich öffne die Augen.«
Huch. Was Neues.
Das ist toll! Ich bin vor Langeweile so schlaff geworden, dass ich mich tatsächlich sehr stark fühle beim Fäusteballen. Super. Erste Erfolge.
»Fäuste ballen, Arme fest, tief atmen, Augen auf ... Fäuste ballen, Arme fest, tief atmen, Augen auf ... Fäuste ballen, Arme fest, tief atmen, Augen auf.«
Bedeutet diese Wiederholung, dass ich auch wiederholen soll, oder ist das nur die strenge Ansage an ein unkonzentriertes Kind? Nachdruck durch Wiederholung? Ich kapier das nicht.
Track 4, »Wärme«, funktioniert auch ohne Susanne, der Computer läuft sich nämlich langsam heiß auf meinem Bauch. Ich lege ihn neben mich und warte auf Susannes Stimme zum Thema.
Susanne ist immer noch vollkommen ruhig und gelassen, ihre Arme sind auch noch ganz schwer, ganz schwer. Ab Minute 2:51 sind ihre Arme zusätzlich noch »angenehm warm«.
»Arme angenehm warm ... Arme angenehm warm ... Arme angenehm warm.«
Nachdruck durch Wiederholung und das Weglassen von Verben.
»Arme und Beine entspannt und angenehm warm.«
Und zwar sehr, sehr, sehr lange. Bis Minute 5:53. Dann ballen wir wieder die Fäuste und beugen die warmen Arme zur Schulter.
Ich bin enttäuscht und spule ein bisschen vorwärts. Beim Track »Atem« sind Arme und Beine immer noch »angenehm warm und entspannt«, zusätzlich sind aber mein Puls und meine Atmung auch ganz ruhig. »Es atmet mich«, sagt Susanne geheimnisvoll.
Ich döse weg und werde von Suzi Quatro geweckt. Da die Musik auf meinem Computer alphabetisch sortiert ist, kommt Suzie nämlich direkt hinter Susanne und weiß aber viel mehr über das Leben: »If you can’t give me love, honey, that ain’t enough!«, schreit sie mich an.
Genau! So sieht’s nämlich aus!
Ich muss an Philipp denken und fange an, zu weinen.
Philipp bekleckert sich im Umgang mit seiner depressiven Exfreundin nicht mit Ruhm. Vermutlich muss er das auch nicht, schließlich steht er in der Firma meines Herzens nicht mehr auf der Gehaltsliste, aber ein wenig Charity erwarte ich schon.
Es ist aber auch schwierig. Die ganzen Gefühle, mit denen ich plötzlich meinen Körper teilen muss, nerven wie Drahtseile. Sie kommen sich ständig in die Quere. Habe ich denn überhaupt Liebeskummer? Macht mir wirklich Philipps Abwesenheit zu schaffen? Oder nur das Fehlen eines Herz-Buben im Allgemeinen? Ist überhaupt die Abwesenheit von romantischer Liebe das Problem, oder bin ich einfach nur traurig, weil das eine Depression nun mal, statt Brot und Salz, zum Einzug mitbringt?
Ich befürchte, dass Philipp mit all diesen Gefühlen nicht viel zu tun hat. Wir konnten uns nicht mal mehr leiden. So einfach ist das. Wir wollten nur nicht allein sein, jetzt müssen wir aber. Das ist also das Ziepen und Zerren in meinem Herzen. Ich möchte nicht allein sein. Ich möchte meine Liebes-Flatrate zurück. Eine Garantie für Zuneigung. Ein Liebes-Buffet.
All you can love.
Anette meint, dass ich mich zu sehr von Liebe abhängig mache. Dass mir auch Freunde und Familie das Gefühl von Geborgenheit geben können, dass eine Beziehung nur die Olive im Martini ist, aber mal ehrlich: Martini ohne Olive ist scheiße. Und Philipp ist zwar definitiv keine Olive, aber zum jetzigen Zeitpunkt würde ich mir auch die Sardelle, die Philipp ist, in meinen Martini hängen.
Das macht mich natürlich zu einer doofen, armen Wurst. Deshalb bin ich auch so wenig wie möglich Ich und melde mich nicht bei Philipp. Ich bitte
andere
, sich bei Philipp zu melden. Mama zum Beispiel. Mama ist eine große Brief-Schreiberin, ich bitte sie, Philipp eine Mail zu schreiben, die seriös klarstellen soll, dass ich ernsthaft krank bin. Philipp soll sich schämen, weil er mich in der Notaufnahme im Stich gelassen hat. Psychologische Kriegsführung. Wir wollen an seine Restgefühle für mich appellieren. Er soll sich sorgen und gerne sehr schuldig fühlen. Schließlich war unsere Trennung der Tropfen, der das stinkende Fass Karo zum Überlaufen gebracht hat!
Mama ist leider sehr diplomatisch, und so fällt auch ihre Mail aus. Sie schreibt Philipp, dass ich ein ziemlich schwieriger Mensch sei, dass die ganze Familie meine Depression habe kommen sehen und dass man sich nicht wundern müsse, dass alles kam, wie es kam. Dass es einfach
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