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Maengelexemplar

Titel: Maengelexemplar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Kuttner
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schön wäre, wenn Philipp mir das Gefühl geben könnte, dass er in Notfällen für mich da sei.
    Mir wird schlecht.
    Wenn man nicht alles selbst macht.
    Philipps Antwort lässt nicht lange auf sich warten. Er war schon immer darum bemüht, anderen Leuten zu gefallen. Vor allem meiner Mutter. Deshalb beginnt seine Mail auch mit »Liebe Claudia!« und endet mit »Schöne Grüße an Deine Tochter!«
    Mama und Philipp haben eine neue Brieffreundschaft. Soll ich euch vielleicht kurz allein lassen? Nehmt euch doch ein Zimmer, verdammt!
    Die restlichen paar Zeilen klingen, als hätte Doktor Sommer sich übergeben. Philipp schreibt unpersönlichen Mist, dass man sich über meine Depression nicht wundern müsse, so eine komplizierte Persönlichkeit, wie ich doch sei. Er habe es auch kommen sehen, aber ich hätte es ja auch nicht leicht gehabt die letzten Monate. Er habe auch vollstes Verständnis, schließlich habe er auch schon mal eine Depression gehabt. Es sei ja schließlich nicht umsonst eine Künstlerkrankheit. Knickerknacker. Natürlich sei er mir ein Fels in der Brandung, wenn’s hart auf hart komme.
    Meine Brust fängt wieder an zu brennen. Mein Körper schüttet Adrenalin aus, ich werde kurzatmig und befürchte, gleich Lava zu eruptieren. Aber man lernt ja aus seinen Panikanfällen, also rauche ich erst in Ruhe und dann brülle ich. Ich bin ein sehr zorniger Rohrspatz und schimpfe laut und fäkalausdruckreich. Mama diplomiert und interveniert erfolglos. Nix mit »Ach, Süße« und »Aber er meint es doch gut!« und »Er ist halt ein Mann, die können sich nicht so gut ausdrücken.« Ich kenne Philipp besser als Mama, und am Ende habe ich sie wieder auf meiner Seite und überzeugt, dass mein Ex ein eitler Trottel und somit zu Recht mein Ex ist.
    Jetzt müssen wir das nur noch meinem Herzen beibringen.

In den kommenden Tagen habe ich immer mal wieder unbefriedigenden Kontakt mit Philipp. Er ruft nie an und schickt keine Blumen und wartet nicht in gutsitzenden Hosen auf einem weißen Pferd vor Mamas Tür, um sich von mir barsch zurückweisen zu lassen. So wäre jedenfalls der Plan, sollte der Fall mit dem Pferd tatsächlich eintreten.
    Stattdessen kommunizieren wir ausschließlich per SMS . Grundsätzlich schreibt er Banales und Unpersönliches. » H EY , GEHT ES DIR INZWISCHEN BESSER ?« ist dabei der Favorit. Wahrscheinlich hat er, um Mühe zu sparen, diese SMS inzwischen als Vorlage abgespeichert. Nie bezieht er sich auf uns. Ich fühle mich wie ein niedliches Häschen, das aus sicherer Ferne bedauert wird.
    Ich möchte ihm jedes Mal antworten, dass es mir natürlich nicht innerhalb kürzester Zeit besser geht und dass eine Depression eben keine leichte Verkühlung ist, dass ich verdammt nochmal Tabletten nehmen muss, die meinem Kopf sagen, was er zu tun, beziehungsweise auf gar keinen Fall zu tun hat. Ich möchte dauernd
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sagen, aber das wäre natürlich albern.
    Also antworte ich schlicht: » JA , DANKE .«
    Und auch dieser letzte lahme Versuch von gespielter Distanz funktioniert bei Philipp nicht. Natürlich nicht. So ist er nicht. Keine Spielchen mit Philipp. Nicht, weil er nicht will, sondern weil er sie nicht kapiert. Vermutlich ist es eins dieser Mario-Barth’schen Frauen-Männer-Phänome. Frauen denken immer zehn Schritte weiter.
Wenn ich das und das sage, denkt er sicher dieses und jenes, also sage ich lieber etwas, das macht, dass er das und das denkt.
Männer denken einfach nur den nächsten Schritt.
Ah, sie sagt das hier, so ist es dann also. Karo schreibt, es geht ihr gut. Na, ist doch schön.
Ich schäme mich ein bisschen. Weil der männliche Ansatz natürlich viel schlauer und logischer und richtiger ist. Und weil ich in die Mario-Barth-Falle getappt bin. Und weil ich trotz Erkenntnis nicht anders kann. Oder will.
     
    Ich rufe dann doch an.
    »Na?« Ich versuche, meiner Stimme eine hübsche Mischung aus Desinteresse, Verletzlichkeit und unbekümmertem Sexappeal zu geben. Zugegebenermaßen ist das mit einem einzigen Wort relativ schwer.
    »Na?«, kommt es zurück. Philipp gibt seiner Stimme eine hässliche Mischung aus Unbekümmertheit und Mitleid.
    »Wie geht’s dir?« Ich stelle diese Frage immer, um aus der
Na?-
Zeitschleife herauszukommen und von mir abzulenken. Die guten Menschen wissen das und pingpongen direkt zurück. Aber Philipp gehört nicht zu ihnen. Falls er irgendeinen Körperteil von mir in den letzten Wochen vermisst hat,

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