Maengelexemplar
dann wohl mein geduldiges Ohr. Zumindest kommt sein Redeschwall einer mittelschweren Diarrhö gleich. »Och, ganz gut eigentlich. Ich habe jetzt einen anderen Professor, der alte hat irgendeinen Lehrstuhl im Sudan bekommen, obwohl er den null verdient hat, der hatte ja nun wirklich nichts drauf. Der Neue ist so weit ganz cool. Ansonsten werde ich wohl im Herbst mit Jörg und Johanna surfen fahren, wobei ich nicht weiß, ob mein Surfbrett bis dahin wieder fit ist. Irgendein Penner hat sich neulich auf einer Party draufgesetzt, und jetzt hat das Board einen Riss.«
Philipp brabbelt noch weiter Anekdoten aus seinem karofreien Leben, und ich höre auf, zuzuhören. Ich muss nämlich
meinen
Lieblingskörperteilen Kopf und Herz zuhören, die haben plötzlich einiges zu sagen zu meinen aktuellen Lieblingsthemen Wut und Trauer. Ich bin traurig, weil Philipp einfach weiterlebt. Weil ohne mich sein Professor doof und sein Surfurlaub geplant ist. Weil er Partys gibt und Freunde sieht. All das kann ich nicht. Ich möchte, dass Philipp das auch nicht kann. Vor Kummer, Sehnsucht. Aber er wirft mir keinen noch so winzigen Faden rüber, der eine Verbindung zwischen uns herstellen würde. Ich werde eine sichere Armlänge entfernt gehalten.
Zugleich bin ich wütend. Philipp schafft es, selbst in diesem ersten Telefonat nach unserer Trennung, meiner neuen Beklopptheit und der
NotaufnahmeNotaufnahme-Notaufnahme
, sich nicht für mein Seelenheil zu interessieren. Er redet einfach drauflos. Über sichsichsich und banale Alltags-Events. Setzt sein Kopf-Herz-Team denn keinerlei Prioritäten? Oder sind dies gar die Prioritäten? Oder ist MC Ego nur zu dumm (Anette würde sagen
anders
), um zu begreifen, dass dies nicht der Moment ist, um so zu tun, als hätten wir uns gestern erst gesehen?
Mein Kopf, mein Herz und ich legen, während Philipp inzwischen über neue innerstädtische Flächen zum Besprühen sinniert, Wut und Trauer auf meine Emo-Waage. Wut wiegt einiges mehr. Darf es noch ein bisschen mehr sein? Warum nicht.
Bevor mein Eierschalen-Rückgrat bricht, beende ich das Gespräch schnell. »Schön, dass alles so weit in Ordnung ist bei dir. Ich muss jetzt aufhören. Ich bin verabredet.« Ich quetsche noch ein »Bis bald!« heraus. Die Worte kommen leider nicht mehr besonders souverän, sondern schon feucht raus. Schade. Jetzt bin ich am Ende doch wieder das Häschen, das man aus der Ferne traurig ansieht. Aber ich bin ein erleichtertes Häschen. Nach einer Trennung neigt man ja dazu, aus sicherer Distanz den Verflossenen zu verherrlichen, mit Philipp klappt noch nicht mal das. Dann ist er es eben nicht. Ich will niemanden, der so doof ist, dass ich es noch nicht mal schaffe, mich selbst zu bescheißen. Denn wenigstens das muss doch bitteschön drin sein.
Also gebe ich Philipp auf.
Ich lasse ihn gehen.
Ich bin ein fleißiger Handwerker.
Ich habe viel Zeit, um über mich nachzudenken, um schiefe Bilder zu malen. Metaphern helfen mir, das Chaos in meinem Kopf zu ordnen, die neue Karo zu verstehen. Mein aktuelles Lieblingsbild ist ein Haus. Mein ganzes Leben lang war ich ein eher marodes Gebäude: morsche Holzbalken, schlecht verputzt, Löcher minderwertig ausgebessert, auf den ersten Blick erfolgreich, auf den zweiten auch. Verloren gegangene Dachziegel wurden mit Sperrholzplatten zugenagelt, passt, wackelt und hat Luft. Ich bin eins der ersten beiden Schweinchen, die lieber getanzt und hinterm Stall gesoffen haben, als sich ein sicheres Häuschen zu bauen. Dann kam der böse Wolf und hat gepustet, und jetzt bin ich in mir drin obdachlos. Das hat erst mal Nachteile, zum Beispiel viel Dreck, da, wo das Sofa stand, und es zieht arg, und man kann nicht mehr hinterm Stall saufen. Aber in schönster »Wenn sich eine Tür schließt, wird woanders eine neue geöffnet«-Manier gibt es auch einen entscheidenden Vorteil: Man muss nochmal von vorn anfangen. Das ist gut, denn man kann ein richtiges Fundament gießen, Stahlträger verarbeiten, die Elektrizität diesmal sicher hinter den Wänden verlegen und später vielleicht sogar einen Geschirrspüler kaufen.
Ich baue mich selbst wieder auf. Ich mache aus Zitronen Limonade, aus Scheiße Gold und aus Sardellen Oliven. Nahezu manisch hüpfe ich vor meinem inneren Auge um die Trümmer meines Ich-Hauses herum und kreische hysterisch.
Hahahaha! Mich kriegt ihr nicht! Ich mach mich wieder ganz! Ich werde stärker denn je sein!
So sieht es in meinem Kopf aus. Es geht mir gut, ich sammle Mut. Ich
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