Maengelexemplar
werde ich wohl bereit sein für einen endgültigen Umzug nach Hause. Wir führen mich also sehr behutsam an mein neues altes Leben heran, übermäßige Geduld kann einem Geschwindigkeitsfreak wie mir nicht schaden.
Vor meiner ersten Nacht zu Hause sind Mama und ich so aufgeregt, als würde ich in den Krieg ziehen. Mama erwähnt mehrfach, dass ich es echt nicht überstürzen muss und dass ich doch noch länger bei ihr bleiben kann, aber ich bin ein Soldat, und ein Mann muss tun, was ein Mann zu tun hat. Wir umarmen uns theatralisch, weinen beide ein bisschen und lachen auch ein bisschen, weil wir uns albern vorkommen. Dann zieht das Kind in den Irak.
In meiner Wohnung angekommen, benehme ich mich so unauffällig und normal wie möglich. Ich werfe Kram in diverse Ecken, rauche in allen Zimmern und versuche, mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. Meine Wohnung soll sich nicht verkrampfen, denn dann wird das ja nichts mit dem entspannten Miteinander.
»Hi!«, sage ich laut ins Leere. Und: »Na?«
Ich stehe ein bisschen dumm rum, nachdem es nichts mehr in die Ecken zu werfen gibt. »Komm, wir machen uns keinen Stress, es ist ja nur ein Versuch. Wenn es heute nicht klappt mit uns beiden, geht die Welt nicht unter. Einfach mal schauen, alles kann, nichts muss, wa?«, quatsche ich meine Wohnung zu.
Trotzdem treffe ich heimlich wieder einige Vorsichtsmaßnahmen. Ich mache überall gemütlich gedämpftes Licht, arbeite viel mit Tüchern und Kerzen und lasse ein Lavendel-Entspannungsbad ein. Letzteres war Mamas Idee. Sie hat mir sogar Fußcreme mitgegeben. Wie in einem schlechten Film pfeife ich ständig vor mich hin, um von meinem Manöver abzulenken. Die Wohnung und ich sollen denken, dass alles ganz normal ist. Dass hier keiner Angst hat. Man wird ja wohl ein Bad nehmen dürfen!
Mein Abend läuft gut. Ich bade, sehe leicht verdauliche Serien auf DVD und lese den Klappentext von meinem nächsten doofen Frauenbuch »Männer und andere Katastrophen«. Der Buchrücken verspricht: »Judith ist ziemlich unzufrieden. Ihr Freund kümmert sich nur noch um Sport und andere Frauen, den Bürojob hat sie satt, und die Männer, mit denen sie sich trösten möchte, sind die reinsten Katastrophen. Ihren Freundinnen ergeht es nicht besser: Katja wird von ihrem Freund betrogen, und Billie verliebt sich in einen notorischen Angeber. Wie sie von einem Desaster ins andere schliddern, wird bis zum überraschenden Ende witzig, spritzig und spannend erzählt.«
Und plötzlich bin ich genervt! Genervt von Judith und Katja und Billie und der Aussicht auf ein witziges, spritziges Desaster mit überraschendem Ende. Ich will keinen »Freche Mädchen«-Schund mehr lesen. Toll! »Merkst du was? Das normale Leben klopft wieder an unsere Tür!«, sage ich zu meiner Wohnung. Ich bin ein bisschen aufgeregt und pfeffere »Männer und andere Katastrophen« in eine noch kramfreie Ecke. Jetzt nur nicht übermütig werden, warnen Anette, Mama und meine Wohnung gleichzeitig in meinem Kopf, und recht haben sie. Ich gehe ins Bett und höre brav ein Hörspiel zum Einschlafen, statt mir wie üblich eine nächtliche Dokumentationsserie über Autopsien anzusehen.
Eine Weile lang beobachte ich mich noch beim Einschlafen:
Na? Klappt das denn auch ordnungsgemäß? Schon müde? Spüren wir Unruhe? Aufkeimende Angst? Was sagt unser Herzschlag? Alles im grünen Bereich?
Und dann bin ich vorerst einfach weg.
Ich wache sehr plötzlich auf.
Ich werde nicht auf eine putzig verschlafene Art augenblinzelnd wach, sondern bin mit einem Schlag da.
Ich versuche, mich zu orientieren. Wie spät ist es? Wie geht es mir? Ist es Morgen genug, um aufzuwachen, oder noch zu sehr Nacht, um wach zu sein?
Werde ich aus Angst wach, oder weil ich einfach genug geschlafen habe?
Ich sehe auf meinen Wecker und freue mich sehr. Es ist neun Uhr morgens, eine rechtschaffene Zeit, um auf eine natürliche Art wach zu werden. Nicht die Panik, sondern meine Blase hat mich geweckt. Ich habe meine erste Nacht zu Hause geschafft. Ich werde ganz rührselig vor Erleichterung und verschicke an meine ganze Familie Kurznachrichten: » HABE DIE NACHT Ü BERSTA N DEN ! KEINE ANGST GEHABT ! ALLES GUT !« Ich fühle mich, als hätte ich mein erstes Kind bekommen oder meinen Doktor gemacht. Meine Familie weiß um den Ernst der Sache und überhäuft mich mit Glückwünschen. Mama ist stolz auf mich, Oma und Papa jubeln auch. Nelson will sogar feiern. Schön.
Kurz ziehe ich in Erwägung,
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