Maengelexemplar
im Wohnungsflur. Und durch das Wohnzimmer hindurch ins Schlafzimmer. Wir haben einiges nachzuholen.
Max spielt keine Spielchen. Max plant seine Gefühle nicht. Max lebt so sehr im Hier und Jetzt, dass ich ganz neidisch werde.
Er freut sich, wenn wir uns sehen, und ist traurig, wenn ich eine Nacht allein schlafe. Er sagt, dass ich ihm gefehlt habe, wenn ich weg war, und dass er sich auf mich freut, wenn ich bald wiederkomme. Er macht schöne Geräusche, wenn wir miteinander schlafen, und mag die Nudeln, die ich für ihn koche. Im Auto blinzelt er mich von der Seite an und küsst meinen rechten Arm so, wie man einen Maiskolben isst: mit beiden Händen und in sauberen Reihen. Zum Glück habe ich ein Automatikgetriebe, so muss ich nie schalten und kann die ganze Autofahrt über den Arm geküsst bekommen.
Alles ist wunderbar, und damit kann ich überhaupt nicht umgehen.
Ich sehe meinem Glück mit Argwohn streng in die Augen und sage:
Na? Und wo ist der Haken, du Drecksau?
Das Glück blinzelt zuckersüß zurück und sagt:
Karo, ich weiß gar nicht, wovon du sprichst. Ist doch alles schön!
Aber ich bin ja nicht von gestern. Ich kann ein rosarotes Glück von einem echten Glück unterscheiden! Ich werde den Fehler schon finden!
Und so versuche ich, das Glück zu testen.
Zuerst setze ich nun endlich meine Tabletten ab. Es ist Frühling, ich habe Arbeit, ich bin gesund und verknallt. Beste Voraussetzungen für einen selbständigen Serotoninfluss! Meinem von Antidepressiva verwöhnten Körper gefällt das nicht, und er wird zickig. Obwohl ich mich von den Tabletten langsam und etappenweise mit Hilfe meiner Hausärztin entwöhne, stänkert er rum. Mir ist dauernd schwindlig. So sehr, dass mir davon übel wird. Mein Herz bewegt sich wie ein schlechter Tänzer: ungelenk und ohne jegliches Taktgefühl. Herzstolpern nennt man das. Das klingt sehr hübsch, ist aber auch beängstigend. Und so stolpern mein Herz und ich durch diese mittelschöne Zeit des Entzugs. Mit meinem Herz schwankt auch meine Stimmung. Die Übelkeit nervt, und dass ich den Haken an meinem neuen Glück nicht finde, auch.
Ich werde empfindlich, einmal wache ich mitten in der Nacht auf und fange heftig an, zu weinen. Einfach so. Max wacht auf und nimmt mich feste in den Arm. Wie ein Schluck Wasser sitze ich auf dem Bett, und Max umschlingt mich mit seinem ganzen Körper. Ich werde vollkommen eingewickelt in Max. Und so schluchze ich aus und schlafe weiter.
Max kauft mir Kaugummi gegen die Übelkeit, und ich versichere mich regelmäßig in Internetforen, dass meine hässlichen Symptome tatsächlich Entzugserscheinungen und kein aufkommender Herzinfarkt sind. Somit sind sie endlich und gut auszuhalten. Nach drei Wochen Übelkeit allerdings habe ich die Schnauze gestrichen voll, mein Körper allerdings auch, und so beschließt er endlich, sich nicht so zu haben, und funktioniert von einem Tag auf den nächsten wieder wie geschmiert.
Ich bin erleichtert. Jetzt bin ich wieder so wie die andern Kinder in meiner Straße. Karo kann endlich wieder runterkommen zum Spielen!
Meine Stimmung allerdings wankt weiter wie ein Betrunkener. Auf der Suche nach dem Haar in der Suppe meines Glücks fange ich an, zu stänkern. Ich finde Kleinigkeiten, die mein Glück zu Fall bringen könnten. Max fängt an, mich zu nerven. Er ist unglaublich langsam und unkoordiniert. Sein Zeitmanagement ist praktisch nicht existent. Er kommt immer zu spät. »So bin ich nun mal«, sagt er zu seiner Entschuldigung. Aber in meiner Welt funktioniert das nicht so einfach. Unpünktlichkeit ist kein angeborener Gen-Defekt, also sollte man sie auch nicht so behandeln. Außerdem ist Max konfliktscheu, was für mich immer mit fehlender Leidenschaft einhergeht. Auf gemeine Mails seiner Exfreundin reagiert er gelassen. Er ist kurz verärgert, zuckt dann mit den Schultern, und weg ist das Thema aus seinem Kopf. Mich macht das wahnsinnig. Max soll kämpfen! Aufbegehren! Sich wehren! Aber Max mag alle Menschen. Es gibt niemanden, den er so richtig doof findet. Und falls doch, würde er es denjenigen nicht wissen lassen. Er macht es sich einfach mit seiner Umwelt. Er ruht in seiner sogenannten Mitte.
Wie Magensäure stößt mir diese Eigenschaft plötzlich auf.
Das kann doch nicht der Mann fürs Leben sein!,
schreie ich dem Glück ins Gesicht. Das Glück kuckt gelassen an mir vorbei. Es weiß genau, dass Max’ Ruhe ein notwendiger Gegenpol zu meiner Kopfparty ist. Dass seine Gelassenheit meine
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