Maenner fuers Leben
Immobilienfirma hat einen vier Hektar großen Teil des Vergnügungsparks gekauft und plant dort ein Zwei-Milliarden-Dollar-Projekt. Sie wollen auf dem Gelände Hotelhochhäuser und Eigentumswohnungen bauen, das volle Programm … Manche sagen, es ist genau das, was Coney Island braucht. Du weißt schon: die Revitalisierung einer heruntergekommenen Gegend, die Wiederherstellung des alten Glanzes.»
«Und was sagen andere?»
«Andere vertreten einen eher nostalgischen Standpunkt. Sie befürchten, die Neubauten könnten die alteingesessenen Bewohner vertreiben, klassische Panoramen zerstören, die kleinen Läden und Fahrgeschäfte ruinieren und den kitschigen, ältlichen Charakter des sogenannten Nickel Empires zerstören.»
«Nickel Empire?» Unser Zug hält in der Station Queensboro Plaza. Die Türen öffnen sich, und eine Handvoll Fahrgäste steigt ein. Sie schauen alle zu uns herüber und setzen sich dann woanders hin.
«Früher kostete die U-Bahnfahrt nach Coney Island einen Nickel. Die Karussells kosteten einen Nickel. Nathan’s Hot Dogs kosteten einen Nickel … Tatsächlich war Coney Island zu Anfang ein Badeort für die Reichen, aber es entwickelte sich bald zu einem Spielplatz für die Arbeiterklasse, wo man nur einen Nickel brauchte, um allem zu entkommen, loszulassen, seine Sorgen zu vergessen», erklärt Leo, als wir weiterrasen, unter dem East River hindurch und zur 59th Street. «Und ich glaube, in vielerlei Hinsicht vermittelt Coney Island dieses Gefühl immer noch.»
«Hast du viele Interviews gemacht?»
Er nickt. «Ja. Ich habe ein paar Tage da verbracht, am Strand, in Astroland und auf der ganzen Mermaid Avenue, und mit den Einheimischen gesprochen – mit den ‹Old Salts›, wie sie sich selbst nennen. Habe viele großartige Jugenderinnerungen über den Boardwalk gehört, über die alten Spiele und Karussells.» Er lächelt. «Jeder da hat eine Geschichte über den Cyclone.»
«Das ist die große Achterbahn?»
«Ja.»
«Bist du damit gefahren?»
«Ja … als Kind. Und ich sage dir, das Ding ist ein Hammer. Mehr als siebzig Jahre alt, aus Holz – und es ist kein Spaziergang. Ich habe mich fabelhaft mit dem Manager des Cyclone unterhalten. Ein tätowierter alter Knabe, der das Geschäft seit dreißig Jahren führt und noch nie damit gefahren ist.»
«Hör auf», sage ich. «Wirklich?»
Leo nickt.
«Hat er Höhenangst?»
«Nein. Er sagt, er ist schon tausendmal raufgeklettert. Er hat nur keine Lust auf den freien Fall.»
Ich muss lächeln, als ich daran denke, wie oft ich dieses Gefühl mit Leo hatte.
«Jedenfalls … Coney Island steht am Scheideweg», sagt Leo mit ernstem Gesicht. «Das Alte gegen das Neue.»
«Und zu welchem Lager gehörst du?», frage ich. «Zum alten oder zum neuen?»
Leo überlegt kurz und wirft mir dann einen wissenden Blick zu. «Ich weiß es nicht. Veränderungen können gut sein … manchmal», sagt er kryptisch. «Aber es ist immer schwer, die Vergangenheit loszulassen.»
Ich weiß nicht genau , was er meint, aber ich brumme doch zustimmend, während unser U-Bahnwagen schwankend über die Gleise donnert, und wir verfallen wieder in ein längeres, lautes Schweigen.
Es ist ein trüber, irgendwie jahreszeitloser Nachmittag, als wir aus der U-Bahn auf die Stillwell Avenue hinauskommen. Stahlgraue Wolken hängen tief am Himmel und künden einen Wolkenbruch an. Kalt ist es eigentlich nicht, aber trotzdem ziehe ich den Gürtel meines Trenchcoats straff und verschränke die Arme fest vor der Brust. Ich sehe mich um und präge mir den ersten Anblick dieses berühmten Stückchens New York ein, dieses amerikanischen Wahrzeichens. Es sieht außerhalb der Saison genauso aus, wie ich es mir vorgestellt habe – trist, verblichen, trostlos –, und trotzdem hat es etwas Magisches, etwas Besonderes an sich. Eine Kulisse für großartige Fotos. Ein Hintergrund unvergesslicher Erinnerungen.
«Da sind wir», sagt Leo mit verschlossenem Blick.
«Ja.»
«Erst zum Strand?», fragt er.
Ich nicke, und wir marschieren Seite an Seite auf den Boardwalk zu. Als wir dort sind, setzen wir uns auf eine Bank und schauen über den breiten, stumpfgrauen Strand und die dunkle, farblose Brandung hinaus. Mir läuft ein Schauer über den Rücken; das kommt von der kühlen Luft, dem kargen Anblick und vor allem davon, dass Leo neben mir sitzt.
«Schön», sage ich schließlich, als ich einmal durchgeatmet habe.
Leos Gesicht leuchtet, als wäre er selbst ein «Old Salt», der
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