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Maenner fuers Leben

Maenner fuers Leben

Titel: Maenner fuers Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Giffin
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Geschichten zu erzählen hat. Ich sehe ihn plötzlich vor mir, als Kind an diesem Strand im Hochsommer, mit Eimer und Schäufelchen. Und dann als Teenager, wie er sich mit einem bezopften Mädchen blaue Zuckerwatte teilt und sorgfältig mit dem Luftgewehr zielt, um ein ausgestopftes Einhorn für sie zu gewinnen.
    Er legt den Kopf schräg. «Wirklich?»
    Ich nicke. «Ja. Es hat so viel … Charakter.»
    «Freut mich, dass du das findest.» Er fährt sich mit der Hand durchs Haar. «Es freut mich wirklich.»
    Wir bleiben eine ganze Weile so sitzen, leicht zurückgelehnt auf unserer Bank; wir betrachten die Kulisse und beobachten die paar Leute, die an einem so düsteren Tag draußen unterwegs sind. Irgendwann nehme ich wortlos die Kamera aus der Tasche, klettere durch das Geländer zwischen Boardwalk und Strand und gehe hinunter zum Wasser. Ich mache ziellos ein paar Stimmungsbilder und spüre, dass ich mich entspanne wie immer, wenn ich anfange zu arbeiten. Ich fotografiere Himmel, Sand und Meer. Ich fotografiere eine langhaarige Frau mittleren Alters in einem braunen Tweedmantel; für eine Stadtstreicherin sieht sie nicht schäbig genug aus, aber auf alle Fälle hat sie kein Glück gehabt, und sie scheint aus irgendeinem Grund traurig zu sein. Ich drehe mich um und fotografiere die Ladenfassaden entlang des Boardwalks; die meisten sind geschlossen, ein paar sogar mit Brettern vernagelt, und ein Schwarm Möwen kreist über einer rot-weiß gestreiften Popcorn-Tüte und sucht nach übriggebliebenen Körnchen. Ich mache noch einen Schnappschuss von Leo, der immer noch auf unserer Bank sitzt, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, die Ellenbogen abgespreizt. Er sieht mir zu und wartet.
    Er winkt kurz und lächelt selbstironisch, als ich auf ihn zugehe. «Das Letzte ist gut geworden», sagt er, und ich denke daran, wie ich ihn im Central Park auf der Bank fotografiert habe und wie verächtlich Margot das Bild kommentiert hat. Selbstgefällig und affektiert fand sie ihn. Jetzt wird mir klar, dass sie sich geirrt hat. Sie hat sich in vielem geirrt.
    Ich hänge mir die Kamera über die Schulter und setze mich mit einem Seufzer, der tiefer ist als beabsichtigt.
    Leo sieht mich mit gespielter Besorgnis an und gibt mir einen Rippenstoß. «Erinnerst du dich, was ich dir gesagt habe, Dempsey? Die Leute kommen hierher, um ihre Sorgen zu vergessen .»
    Dempsey , denke ich, und mein linker Daumen streicht über meinen Ehering. Ich zwinge mich zu einem Lächeln. «Richtig», sage ich, und wir sehen zu, wie die Wellen sich brechen, eine nach der anderen. Nach ein paar Minuten frage ich, ob wir Flut oder Ebbe haben.
    «Flut», antwortet er so schnell, dass ich beeindruckt bin, genauso beeindruckt, wie ich es bin, wenn Leute – meistens sind es Männer – instinktiv wissen, dass sie in Richtung Nordwesten fahren.
    Jedenfalls sitzen wir noch nicht lange genug hier, als dass es eindeutig zu erkennen gewesen wäre. «Woher weißt du das?», frage ich.
    «Der Sand ist nicht nass», sagt Leo. «Wenn wir Ebbe hätten, gäbe es einen Streifen nassen Sand.»
    «Oh. Ja.» Ich nicke. «Weißt du was?», sage ich dann.
    «Was?» Leo sieht mich erwartungsvoll an, als mache er sich auf ein großes Geständnis oder auf eine profunde Feststellung gefasst.
    Ich lächle. «Ich habe einen Mordshunger.»
    «Ich auch.» Er grinst. «Möchtest du einen Hot Dog?»
    «Das hier ist doch der Geburtsort des Hot Dog, oder?» Ich erinnere mich, mal irgendwo so etwas aufgeschnappt zu haben. Vielleicht hat sogar Leo es mir erzählt.
    «Das stimmt», sagt er lächelnd.
    Wir stehen auf und gehen gemächlich zurück zur Ecke Stillwell und Surf Avenue, wo das ursprüngliche Nathan’s gewesen ist – erbaut 1916, sagt Leo. Wir gehen hinein, und die Schlange ist länger, als man es um kurz vor zwei in der Nachsaison erwarten würde – selbst im berühmtesten Hot-Dog-Laden der Welt. Ich mache ein paar Fotos von dem Restaurant und den verschwitzten Männern am Grill. Leo fragt, was ich möchte.
    «Einen Hot Dog», sage ich und verdrehe die Augen.
    «Könntest du etwas konkreter werden?» Leos Lächeln wird breiter. «Einen Chili-Dog? Einen einfachen? Mit Relish? Fritten?»
    Ich winke ab. Zu viele Details. «Ich nehme, was du nimmst.»
    «Cheddar-Dogs, Fritten, Root Beer», sagt Leo entschieden.
    «Perfekt.» Ich erinnere mich, wie gern er Root Beer trinkt.
    Kurz darauf hat Leo bezahlt, ich habe Servietten, Strohhalme und Päckchen mit Senf und Ketchup eingesammelt,

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