Maenner fuers Leben
schlangenledernen Handtasche; ich erinnere mich, dass ich sie noch in letzter Sekunde eingepackt habe. Stella hat sie mir letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt, und ich weiß, sie wird sich sehr freuen, wenn sie sieht, dass ich sie benutze. Sie ist aufmerksam und großzügig mit ihren Geschenken, obwohl ich oft das Gefühl habe, dass sie mich damit gern ein bisschen beeinflussen will – wie ihre Tochter. Mit anderen Worten, wie eine Frau, die instinktiv zum Abendessen die Handtasche wechselt.
Ich schiebe den Lipgloss, einen kleinen Spiegel und eine Packung «Wintergreen Certs»-Pfefferminz in die Tasche. Ein bisschen Platz ist noch da, also stecke ich auch das Handy hinein, für alle Fälle. Für welche Fälle, das weiß ich nicht genau, aber es ist immer gut, wenn man auf alles vorbereitet ist. Ich ziehe schwarze, klassische Pumps an und gehe die Treppe hinunter; Margot und die Jungs sitzen auf Barhockern an der Küchentheke bei Wein, Käse und gefüllten Oliven. Ich betrachte Margot und Andy, die nebeneinandersitzen und über Webb lachen, der gerade einen Klienten nachmacht, und ich finde die Ähnlichkeit zwischen ihnen noch auffallender als sonst. Sie haben nicht nur das herzförmige Gesicht und die runden, weit auseinanderliegenden Augen gemeinsam, sondern auch die gleiche glückliche Aura – ein gewissermaßen authentisches Wesen.
Andy strahlt noch mehr, als er zu mir herüberschaut.
«Hey, Honey.» Er steht auf und küsst mich auf die Wange, und dann flüstert er mir ins Ohr: «Du riechst gut.»
Zufällig habe ich eine Blaubeer-Vanille-Body-Lotion benutzt, die ich ebenfalls von Stella habe. «Danke», flüstere ich zurück und verspüre leise Gewissensbisse wegen meines Mannes und wegen seiner Mutter.
Ich sage mir, dass ich nichts verbrochen habe. Das ist alles nur Leos Schuld. Er hat mich in die Enge getrieben, hat eine dünne Wand aus Täuschung zwischen mich und die Leute, die ich liebe, gestellt. Natürlich, es ist nur ein kleines Geheimnis, aber ein Geheimnis ist es trotzdem, und es wird wachsen – und sich vervielfachen –, wenn ich ihn zurückrufe. Also werde ich es einfach nicht tun. Ich rufe ihn nicht zurück.
Aber als ich mit einem Zahnstocher eine Olive aufspieße und mit halbem Ohr Webbs nächster Klienten-Geschichte zuhöre – sie handelt von einem Footballspieler bei den Falcons, der erwischt wurde, als er Marihuana ins Flugzeug schmuggeln wollte –, spüre ich, dass ich ein kleines bisschen ins Wanken komme. Wenn ich Leo nicht zurückrufe, sage ich mir, werde ich mich wahrscheinlich immer weiter fragen, was er mir zu sagen hat. Was um alles in der Welt will er mich fragen? Und je mehr ich darüber nachdenke, was es sein könnte, desto unbehaglicher wird mir werden, und desto mehr könnten er und die Vergangenheit, in der er eine Rolle gespielt hat, meine Gegenwart untergraben. Außerdem könnte es aussehen, als riefe ich ihn aus strategischen Erwägungen nicht an; es könnte den Eindruck erwecken, es bedeute mir zu viel. Aber es bedeutet mir überhaupt nichts. Es ist mir egal . Also werde ich ihn doch anrufen, seine sogenannte Frage beantworten und ihm – mit sechzehn oder weniger Worten – mitteilen, dass ich trotz allem, was ich in dem Schnellrestaurant gesagt habe, genug Freunde habe. Ich brauche keine alte Freundschaft wiederzubeleben, falls wir überhaupt jemals Freunde waren. Und dann bin ich ein für alle Mal mit ihm fertig. Ich trinke einen großen Schluck Wein und kann es kaum erwarten, nach New York zurückzukommen und dieses Gespräch hinter mich zu bringen.
Aber obwohl ich mir vorgenommen habe, Leo gleich am kommenden Montagmorgen aus meinem Leben zu entfernen, lässt er mir heute Abend keine Ruhe, nicht einmal, als ich mit der ganzen Familie Graham im Bacchanalia sitze. Ja, ich bin dermaßen abgelenkt, dass Stella sich nach dem dritten Gang unseres Degustationsmenüs, dessen Weinbegleitung Webb als «brillant» bezeichnet, zu mir umdreht und sagt: «Du wirkst ein bisschen unruhig heute Abend, Liebes. Ist alles in Ordnung?»
Tonfall und Blick sind besorgt, aber ich habe sie das schon oft genug bei ihren Kindern sagen hören – und übrigens auch bei ihrem Mann, um zu wissen, dass es ein verhüllter Tadel ist. Oberstes Gebot ist es, um ihre Worte zu benutzen, «anwesend zu sein», wenn man mit anderen zusammen ist. In unserer Kultur der BlackBerrys und Handys sind die Leute allzu oft abgekoppelt, unverbunden und abgelenkt von ihrer unmittelbaren Umgebung. Das ist eins
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