Maenner fuers Leben
Essen … Ich hatte nur … ich wollte nur wissen, was du mich fragen willst.»
«Na ja», sagt Leo und macht eine Pause, als wolle er die dramatische Wirkung erhöhen. «Das ist sozusagen eine lange Geschichte.»
Ich seufze. Natürlich, denke ich, Mr. Tür-ins-Haus hat plötzlich einen weitschweifigen Vortrag zu halten.
«Gib mir die Kurzfassung», sage ich und suche verzweifelt nach irgendeinem Anhaltspunkt. Ist es eine alberne, vorgeschobene Frage nach seiner Kamera? Oder etwas Ernstes wie zum Beispiel, ob ich die Überträgerin einer Geschlechtskrankheit bin, die er sich eingefangen hat? Oder irgendetwas dazwischen?
Leo räuspert sich. «Ja … es geht um die Arbeit», sagt er. «Um deine Arbeit.»
Ich kann nicht anders, ich muss lächeln. Er hat meine Fotos gesehen. Ich hab’s gewusst.
«Ja?» Ich klemme meine Tasche unter die feuchte Achsel.
«Na ja … wie gesagt, es ist irgendwie eine lange Geschichte, aber …»
Ich gehe die paar Schritte bis zum Restauranteingang und spähe vorsichtig um die Ecke. Meine Familie sitzt wohlbehalten am Tisch. Die Luft ist rein, wenigstens noch für die nächsten paar Sekunden. Ich ziehe mich wieder zurück und wedele mit der Hand. Weiter, weiter . «Ja?»
«Ich hätte einen potenziellen Porträtauftrag für dich», fährt Leo fort. «Falls du interessiert bist … Du machst doch Porträts, oder?»
«Ja, schon», sage ich und bin ein kleines bisschen neugierig geworden. «Wer ist das Modell?»
Ich stelle die Frage, aber ich bin fest entschlossen, abzulehnen. Zu sagen, dass ich in den kommenden Wochen jede Menge zu tun habe. Dass ich jetzt eine Agentin habe, über die man mich buchen kann, und es eigentlich nicht mehr nötig habe, irgendwelchen Jobs nachzujagen. Dass ich es geschafft habe – vielleicht nicht im ganz großen Stil, aber es genügt. Also danke, dass du an mich denkst – aber nein, danke. Ach, und noch was. Leo? Ja. Wahrscheinlich ist es besser, wenn du mich nicht nochmal anrufst. Sei nicht böse. Ciao .
Das alles werde ich sagen, in einem Rausch von Adrenalin. Schon jetzt schmecke ich die Genugtuung auf der Zunge.
Und da räuspert Leo sich noch einmal und spielt seine Trumpfkarte aus. «Drake Watters», sagt er.
« Drake Watters ?», wiederhole ich perplex und ungläubig und hoffe, er meint einen anderen Drake Watters – nicht den legendären zehnfachen Grammy-Preisträger, der kürzlich für den Friedensnobelpreis nominiert wurde.
Aber natürlich gibt es nur einen Drake.
Und richtig, Leo sagt: «Yep», und ich denke an meine Highschool-Zeit, als ich mindestens einmal in der Woche in einem Drake-Konzert-T-Shirt in die Schule kam, in hochgekrempelten, zerrissenen, chlorgebleichten Jeans und Sneakers, auf die ich mit schwarzem Filzstift das «Peace»-Zeichen gemalt hatte. Und auch wenn ich inzwischen kein Riesenfan mehr bin, steht er immer noch auf meiner Liste der «Ikonen, die ich für mein Leben gern fotografieren würde», gleich neben Madonna, Bill Clinton, Meryl Streep, Bruce Springsteen, Queen Elizabeth, Sting und – auch wenn er eigentlich nicht in dieselbe Liga gehört – George Clooney.
«Was hältst du davon?», fragt Leo mit einem Hauch von flapsiger Selbstgefälligkeit. «Interesse?»
Ich trete leise gegen eine Fußleiste und hasse Leo dafür, dass er mich derart in Versuchung führt. Ich hasse mich selbst, weil ich einknicke. Fast hasse ich sogar Drake.
«Ja», sage ich missmutig und niedergeschlagen.
«Prima», sagt Leo. «Dann reden wir in den nächsten Tagen darüber?»
«Ja», sage ich wieder.
«Geht’s Montagmorgen?»
«Ja», sage ich. «Ich rufe dich Montag an.»
Ich klappe das Telefon zu und gehe zum Tisch zurück und hüte mein nagelneues Geheimnis, während ich wilde Begeisterung über meinen würzigen Kardamom-Flan mit kandierten Kumquats vortäusche.
Elf
Der Montagmorgen kommt im Handumdrehen, wie es immer der Fall ist, wenn man nicht genau weiß, wie man sein Blatt spielen soll. Seit Samstagabend habe ich alle Optionen meiner Leo-Drake-Strategie ausgelotet. Ich könnte Leo einfach nicht mehr anrufen. Ich könnte Andy alles erzählen und ihn entscheiden lassen, ob ich den Auftrag übernehmen soll. Ich könnte mich auch mit Leo treffen und mir in allen aufregenden Details erzählen lassen, was es mit dem bisher größten Job meines Lebens auf sich hat.
Aber jetzt, als ich Andy mit einem Kuss verabschiedet habe, stehe ich an der Wohnungstür und höre Drakes hypnotisierende Stimme im Kopf, wie er
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