Maenner fuers Leben
«Crossroads» singt, ein Lied über die katastrophalen Folgen eines einzigen Abends der Untreue, und plötzlich weiß ich, was ich tun muss. Ich drehe mich um und renne durch das Wohnzimmer, schlittere auf meinen lila Wollsocken zum Fenster und werfe einen letzten Blick auf meinen Mann, der eben die Treppe vor der Haustür herunterkommt und in seinem schönen, dreiviertellangen blauen Mantel mit dem rotkarierten Cashmere-Schal auf dem Gehweg davonmarschiert. Er verschwindet in Richtung Park Avenue, und ich sehe noch einmal sein Profil und seinen Aktenkoffer, den er fröhlich hin und her schwingt. Dieses flüchtige Bild verfestigt meine endgültige Entscheidung.
Langsam gehe ich in die Küche und schaue auf die Uhr am Herd. Neun Uhr zweiundvierzig – spät genug, um jemanden anzurufen. Aber ich schinde trotzdem noch ein bisschen Zeit und beschließe, dass ich erst einen Kaffee brauche. Unsere Kaffeemaschine ist vor ein paar Wochen kaputtgegangen, und wir haben keinen Wasserkocher; also stelle ich einen Becher Leitungswasser in die Mikrowelle und wühle im Schrank nach einer Dose Instantkaffee, wie meine Mutter ihn jeden Morgen aufgebrüht hat. Ich betrachte den vertrauten Gentleman auf dem Etikett der «Taster’s-Choice»-Dose und staune darüber, dass er mir immer so alt vorgekommen ist. Jetzt scheint er mir eher jung zu sein, höchstens Anfang vierzig. Einer der vielen Taschenspielertricks der Zeit.
Ich schraube den Deckel ab, rühre zwei gehäufte Teelöffel in das heiße Wasser und sehe zu, wie die braunen Kristalle sich auflösen. Ich trinke einen Schluck, und die Erinnerung an meine Mutter überflutet mich. Eigentlich sind es Kleinigkeiten wie dieser Instantkaffee, bei denen sie mir am meisten fehlt. Ich überlege, ob ich Suzanne anrufen soll; sie kann diesen Schmerz manchmal einfach schon deshalb lindern, weil sie als Einzige auf der Welt weiß, was ich empfinde. Obwohl wir eine sehr unterschiedliche Beziehung zu unserer Mutter hatten – ihre war oft turbulent, weil sie beide Dickköpfe waren –, sind wir immer noch Schwestern, die früh ihre Mutter verloren haben, und das ist ein sehr starkes Band zwischen uns. Aber dann rufe ich sie doch nicht an, denn manchmal ist die Wirkung genau entgegengesetzt, und ich bin danach trauriger als vorher. Und das kann ich mir im Moment nicht leisten.
Stattdessen lenke ich mich mit der Style-Beilage der Times ab und lese müßig etwas über den neuen Leggings-Trend, den Margot letztes Jahr vorausgesagt hat, und dabei nippe ich an meinem schalen Kaffee und frage mich, wie meine Mutter ihn all die Jahre hat trinken können. Dann mache ich das Bett, packe unsere Reisetasche vollends aus, ordne die Strümpfe in meiner Schublade und dann in Andys. Ich putze mir die Zähne, dusche und ziehe mich an. Ich fühle mich immer noch nicht ganz bereit, und deshalb fange ich an, die Romane in meinem Bücherregal alphabetisch nach Autoren zu sortieren – ein Projekt, das ich schon seit Ewigkeiten in Angriff nehmen wollte. Befriedigt streiche ich mit den Fingern über die säuberlich aufgereihten Buchrücken und bin froh über die fundamentale Ordnung, die trotz des Chaos in meinem Kopf immer noch existiert.
Um fünf vor halb zwölf nehme ich schließlich meinen ganzen Mut zusammen und rufe an. Ich bin gleichzeitig erleichtert und frustriert, als Leo sich nicht meldet und ich geradewegs auf die Voicemail geleitet werde. Adrenalin durchströmt mich, als ich den Spruch aufsage, den ich mir im Laufe der letzten sechsunddreißig Stunden zurechtgelegt habe, in der Kirche und beim Brunch mit den Grahams und danach, als wir gemächlich durch Buckhead fuhren und uns weitere Häuser anschauten, die zum Verkauf standen, und auch noch auf dem ereignislosen Heimflug.
Der Kern meines Vortrags ist a) ich bin beeindruckt, dass er Beziehungen zu Drake Watters hat (warum soll ich ihm nicht einen kleinen Knochen hinwerfen?), b) ich weiß zu schätzen, dass er bei dem Job an mich gedacht hat, und wäre c) total begeistert, wenn ich ihn annehmen könnte, aber d) «ist mir nicht ganz wohl bei dem Gedanken an eine erneuerte Freundschaft und halte es für besser, wenn wir so etwas nicht versuchen». In letzter Sekunde füge ich noch meinen Punkt e) an: «aus Respekt vor meinem Mann», denn Leo soll nicht glauben, er gehöre zur Brad-Turner-Kategorie («du bist so fabelhaft, dass es meinem Mann etwas ausmachen würde») und nicht unter die Rubrik Ty Portera («du bist so harmlos, dass es völlig okay
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