Maenner fuers Leben
wohlerzogene Junge in ihm verspürt die Notwendigkeit, unser schmuddeliges Aussehen zu erklären. Also murmelt er entschuldigend: «Wir sind eben aus unserem Apartment ausgezogen.»
Beata nickt verständnisvoll und erkundigt sich höflich: «Und wohin geht es von hier aus?»
Ich übernehme die Antwort und sage: Atlanta, Georgia . Ich sage es so großartig wie möglich und füge sogar eine schwungvoll schlenkernde Handbewegung hinzu, als offenbarte ich ihr ein wohlgehütetes nordamerikanisches Geheimnis, ein Juwel von einer Stadt, die sie auf jeden Fall besuchen müsse, wenn sie es nicht schon getan hat. Ich weiß nicht genau, warum ich es nötig habe, Atlanta vor einer Wildfremden zu gut aussehen zu lassen – damit es mir selbst bessergeht, wahrscheinlich, oder damit ich erst gar nicht in die Defensive gerate, wie es sonst immer passiert, wenn ich jemandem in New York erzähle, wohin wir ziehen, und dann unweigerlich einen mitleidsvollen Blick ernte oder sogar offen kritisch gefragt werde: «Wieso denn Atlanta ?»
Andy nimmt so was leichter persönlich – wie ich, wenn jemand über Pittsburgh herzieht. Aber New Yorker fühlen sich eben dem Rest der Welt überlegen, oder zumindest den anderen Städten und Orten in den Vereinigten Staaten, wo es in ihren Augen langweilig und öde ist. Jetzt ärgere ich mich über diese Attitüde, aber die unbequeme Wahrheit ist, dass ich ganz ähnlich empfunden habe, wenn Freundinnen die Stadt verlassen haben, ob nun wegen eines Jobs, wegen einer Beziehung oder um in irgendeinem Vorort Kinder zu bekommen. Besser du als ich , habe ich dann gedacht, selbst wenn ich mich vielleicht noch einen Augenblick zuvor bitterlich über die Stadt beklagt habe. Schließlich ist ja gerade diese Intensität das Reizvollste am Leben in New York, und sie ist auch das, was ich am meisten vermissen werde.
Jedenfalls scheint mein präventives, stolzes Auftreten bei Beata zu wirken, denn sie lächelt und nickt und sagt: «Oh, sehr schön», als hätte ich soeben Paris, Frankreich gesagt.
Sie checkt uns ein und gibt uns ein paar Informationen über das Hotel, bevor sie Andy den Schlüssel reicht und uns einen schönen Aufenthalt wünscht.
Wir bedanken uns bei ihr und spazieren so unauffällig wie möglich zurück durch die Lobby und nach nebenan in die Rose Bar, die genauso üppig dekoriert ist wie die Lobby. Ich sehe einen rotsamtenen Pooltisch und noch einen hochaufragenden Warhol. Ich denke an Leo, den ich auch mal in einer trendigen Hotelbar getroffen habe, aber gleich konzentriere ich mich wieder auf die Gegenwart. Andy fragt mit gespielter Förmlichkeit: «Lust auf einen Aperitif?»
Ich überfliege die Cocktailkarte und sage, der Ananas-Zimt-Mojito sehe interessant aus. Er stimmt mir zu und bestellt zwei zum Mitnehmen. Wenig später sind wir allein in unserem luxuriösen, in Juweltönen gehaltenen Zimmer mit Blick auf den Gramercy Park, einen meiner Lieblingsorte in der Stadt, obwohl ich nie hinter den verschlossenen Toren gewesen bin – oder vielleicht gerade weil ich nie drinnen war.
«Herrlich», sage ich, nippe an meinem Mojito und betrachte den romantischen, makellos gepflegten Privatpark.
«Ich wusste, du wolltest immer einen Blick hineinwerfen», sagt er und legt den Arm um mich. «Da dachte ich, es wäre vielleicht ein schöner Abschied.»
«Du denkst immer an alles .» Ich empfinde mit einem Mal tiefe Dankbarkeit für meinen Mann.
Ach was , sagt Andys Grinsen. Er nimmt einen kräftigen Schluck von seinem Drink, und dann zieht er sich bis auf die Boxershorts aus und schmettert eine leidenschaftliche Version von «The Devil Went Down to Georgia».
Lachend schüttele ich den Kopf. «Ab in die Dusche», sage ich und nehme mir vor, heute Abend glücklich zu sein. Obwohl ich müde bin. Obwohl ich es nicht leiden kann, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Obwohl ich Abschiede nicht mag. Und obwohl ein gewisser jemand in der Newton Avenue nicht dabei sein wird und nicht einmal ahnt, dass ich weggehe.
Eine Stunde später ist unsere Party im Blind Tiger, einem auf kleine Biermarken spezialisierten Pub in der Bleecker Street, in vollem Gange. Die Beleuchtung ist gedämpft, die Musik gerade laut genug, und ich arbeite an meinem vierten Bier an diesem Abend, einem «Lagunitas Hairy Eyball», das mir bisher am besten schmeckt – aber das liegt vielleicht auch nur an meinem Schwips. Eins ist sicher: Ich habe alle meine Sorgen beiseite geschoben und amüsiere mich noch besser, als ich
Weitere Kostenlose Bücher