Maenner fuers Leben
wenn ich erst weg wäre, wenn ich einen neuen Kalender anfinge, wenn ich überhaupt irgendetwas anders machte als bis dahin. Dass wir sie dann einfach … gehen lassen.»
«Ich weiß genau, was du meinst», sagt Suzanne. «Ganz genau … Aber … Ellie …»
«Was?», frage ich leise. Ich weiß, jetzt kommt eine schwierige Frage auf mich zu.
Und richtig, Suzanne sagt: «Warum willst du Leo nicht gehen lassen?»
Ich denke eine ganze Weile nach, und unser Schweigen rauscht in der Leitung. Aber sosehr ich mich auch bemühe, mir fällt keine gute Antwort ein. Eigentlich überhaupt keine Antwort.
Zwanzig
Es ist der erste Sonntag im Juni und unser letzter in New York. Ein Trio von stiernackigen Möbelpackern ist heute Morgen um neun aus Hoboken gekommen, und nach irrwitzigen neun Stunden Packen ist unser Apartment kahl und leer. Nur an der Wohnungstür stehen ein paar Koffer, auf der Küchentheke kleben ein paar Streifen Isolierband, und hundert Wollmäuse wehen über den Holzboden. Andy und ich stehen verschwitzt und erschöpft in dem Zimmer, das unser Wohnzimmer war, und lauschen dem Brummen der Klimaanlage unter dem Fenster, die dort gegen die Hitze ankämpft.
«Ich schätze, es wird Zeit», sagt Andy, und seine Stimme hallt zwischen den weißen Wänden. Wir hatten nie Zeit, sie in einer interessanteren Farbe zu streichen. Er wischt sich die Wange mit dem Ärmel eines alten, fleckigen T-Shirts ab; es ist eins von den ungefähr dreißig, die er «zum Umziehen und Anstreichen» verwahrt, obwohl ich ihn immer scherzhaft darauf hinweise, dass er unmöglich in eine Situation geraten kann, in der er einen vollen Monat lang anstreicht oder umzieht.
«Ja, gehen wir.» In Gedanken bin ich schon beim nächsten Schritt unserer Reise: bei der Taxifahrt zu unserem Hotel, wo wir duschen und uns für die Abschiedsparty umziehen werden, die Andys beiden besten Freunde von der Uni veranstalten. Freunde aus allen Bereichen unseres New Yorker Lebens werden dabei sein.
Sogar Margot und Webb fliegen für dieses Fest herauf, nur um morgen früh mit uns nach Atlanta zurückzufliegen, wo sie uns dann offiziell begrüßen werden. Ich reibe mir die Hände und zwinge mich zu einem fröhlichen «Na, dann los!».
Andy zögert. «Sollten wir nicht vorher noch irgendetwas Feierliches tun?»
«Was denn zum Beispiel?»
«Ich weiß nicht … vielleicht ein Foto machen?»
Ich schüttele den Kopf. Andy sollte mich inzwischen besser kennen, denke ich; ich bin vielleicht Fotografin, aber doch eigentlich keine, die symbolische Augenblicke wie diesen dokumentiert: einen Anfang, ein Ende oder auch nur einen Feiertag oder eine besondere Gelegenheit. Viel lieber fange ich die Zufallsdinge in der Mitte dazwischen ein. Meine Freunde und Verwandten finden das anscheinend verwirrend und manchmal frustrierend.
«Nein.» Ich blicke aus dem Fenster und betrachte einen Taubenschwarm auf der Zementterrasse gegenüber auf der anderen Straßenseite.
Nach einer ganzen Weile nimmt Andy meine Hand. «Wie fühlst du dich?»
«Gut», sage ich und merke erleichtert, dass ich die Wahrheit sage. «Bin nur ein bisschen traurig.»
Er nickt, als wolle er bestätigen, dass ein Ende fast immer ein bisschen traurig ist, auch wenn dahinter etwas kommt, auf das man sich freut. Und ohne weiteres Trara drehen wir uns um und verlassen unsere erste gemeinsame Ehewohnung.
Ein paar Minuten später hält unser Taxi vor dem Gramercy Park Hotel, und eine Woge von Reue und Panik überkommt mich, als ich erkenne, dass Andy und ich uns plötzlich, augenblicklich , in Besucher der Stadt verwandelt haben; dort, wo wir so lange gewohnt haben, sind wir jetzt Touristen.
Aber dann betreten wir die prachtvolle Lobby mit den marokkanischen Fliesen, handgewebten Teppichen, Kronleuchtern aus venezianischem Glas und großflächigen Bildern von Andy Warhol, Jean-Michel Basquiat und Keith Haring, und ich tröste mich damit, dass es fraglos auch seine Vorteile hat, die Stadt von dieser Seite aus zu sehen.
«Wow», sage ich und bewundere den großen Kamin aus Stein und Marmor und die Lampe, deren Ständer eine Schwertfischschnauze ist. «Der Laden ist aber schon sehr cool.»
Andy lächelt. «Yep. Cool wie in ‹Haute Bohème›. Wie mein Mädchen.»
Ich lächle ihn an, und wir schlendern zur Rezeption, wo eine schwül-sinnliche Brünette uns erwartet. Auf ihrem Namensschild steht Beata , und sie begrüßt uns mit starkem osteuropäischem Akzent.
Andy grüßt, und der adrette,
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