Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
sackt Hubert Mönchinger ohnmächtig auf dem Fußboden der Westerländer Polizeistation in sich zusammen.
»Und dabei weiß er noch nicht mal, wie sie gestorben ist«, murmelt Sven.
Freitag, 17. Juni, 14.15 Uhr,
Psychotherapeutische Praxis
Manfred Pabst, List
Der Analytiker rutscht unruhig auf seinem Ledersessel hin und her. Manfred Pabst hat in der vergangenen Nacht wenig geschlafen. Erst in den Morgenstunden überfiel ihn eine tiefe und unangenehme Müdigkeit voller wirrer Träume. Seit zehn Uhr am Vormittag sitzt er jetzt in diesem Dachstudio, dessen abgestandene Luft ihn immer wieder zum Öffnen des Fensters zwingt. Jeder der drei Patienten, die Pabst seit dem Morgen empfangen hat, schien heute besonders stark zu transpirieren.
Die Mittagspause verbringt Pabst auf seinem eigenen Patientensofa. Bewegungslos, wie erstarrt und mit geschlossenen Augen liegt er eine geschlagene Stunde lang dort und denkt an die vergangene Nacht. Die Bilder seiner Eskapade trudeln durcheinander, überlagern sich gegenseitig und quälen ihn mit ihrer grellen Deutlichkeit. Erst das Schellen der Türklingel reißt den Analytiker aus seinen Erinnerungen. Mit wackligen Schritten geht Manfred Pabst in die schmale Diele und bittet den ersten Nachmittags-Patienten herein.
Es ist Fred Hübner, ein smarter, sportlicher Mann Ende 50, der in den letzten Jahren als Skandalbiograph und Enthüllungsjournalist ordentlich Kasse gemacht hat. Eigentlich nicht gerade der Typ, der sich freiwillig auf die Couch legt. Aber im letzten Sommer hat Hübner in seinem eigenen Schlafzimmer eine Tote gefunden, als er von einer Recherchetour zurückgekommen ist. Und es war nicht irgendeine Frau, die da lag, sondern seine Geliebte – und zugleich die Ehefrau eines vermögenden Hoteliers. Der Skandal war groß, und die Ereignisse, die die Tat nach sich zog, waren blutig.
Hübner, der sich zunächst in eine bereits überwunden geglaubte Alkoholikerkarriere geflüchtet hatte, ist etwa ein halbes Jahr später bei Manfred Pabst auf der Couch gelandet. Den Satz, mit dem der Journalist sich bei seinem ersten Termin vorgestellt hat, wird der Analytiker so schnell nicht vergessen.
»Wissen Sie, Herr Pabst, ich bin nicht ganz freiwillig hier. Es scheint mir schon seit einiger Zeit so, als müsse ich in meinem verkorksten Leben grundsätzlich etwas ändern.«
»Und? Haben Sie eine Idee, was das sein könnte?«, hatte Manfred Pabst gefragt.
»Vermutlich gibt es zwei Lösungen für mein Problem. Erstens: Ich könnte zu ’ner Nutte gehen. Oder zweitens: Ich leg mich bei Ihnen auf die Couch. Beides hat was mit Entspannung zu tun. Körperlich oder seelisch. Wahrscheinlich ist der Unterschied gar nicht so groß. Aber bei Ihnen hole ich mir wenigstens kein Aids.«
Pabst fand Gefallen an dem Galgenhumor des Journalisten und nahm ihn als Patienten an. Doch heute wären ihm andere lieber. Die Jammerer zum Beispiel, die ihren Analytiker als seelischen Mülleimer benutzen und recht pflegeleicht sind, solange man nur zuhört und ab und an nickt oder ein Das ist sicher nicht leicht für Sie einwirft. Fred Hübner dagegen fordert Aufmerksamkeit. Er ist ein schneller Denker, sprachgewandt und oft witzig, aber er sucht immer den Dialog, auch in der Therapie.
Dazu passt, dass er selten still auf der Bauhausliege ruht, sondern oft die Stellung wechselt, sich dreht und auf Augenkontakt zu seinem Analytiker aus ist. Ausgerechnet heute scheint Fred Hübner besonders agil zu sein, denn er fängt schon in der Tür an zu reden.
»Ich habe ein neues Projekt, davon muss ich Ihnen unbedingt erzählen.«
»Es scheint Ihnen gut damit zu gehen. Trotzdem sollten Sie sich erst mal hinlegen.«
Hübner fläzt sich auf die Couch und verschränkt die Hände hinter dem Kopf, während Pabst sich auf dem Sessel niederlässt, der seitlich hinter Hübners Kopf steht. Beide, Patient und Analytiker, können aus dem großen Dachflächenfenster an der gegenüberliegenden Schräge die Wolken beobachten, die sich wie schwere Lasten über der Insel türmen.
»Ich habe letztens bei einem Empfang einen jungen Politiker kennengelernt, der noch so richtig begeisterungsfähig ist. Der brannte für seine Ideen, sage ich Ihnen. Jens-Uwe Behrmann, wahrscheinlich haben Sie den Namen schon mal gehört.«
»Ist das nicht dieser Umweltaktivist, der eigentlich aus der Werbung kommt?«
Manfred Pabst erinnert sich dunkel an einen Talkshow-Auftritt des Mannes, in dem der ihm ziemlich selbstgefällig vorgekommen
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