Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
Café. Die Terrasse ist im Bäderstil, und das Frühstück richtig gut.«
»Super. Hört sich perfekt an.«
Während die Freundinnen durch die Strandstraße laufen, ziehen wieder Wolken am Himmel auf und ein kühler Wind fegt durch die Fußgängerzone, die am frühen Vormittag noch wenig belebt ist. Einige Rentnerpaare und Familien mit kleinen Kindern schlendern an den niedrigen Häusern vorbei. Überall befinden sich im Erdgeschoss Geschäfte oder Restaurants, der Teeladen neben der Konditorei, die Fischbude neben der Buchhandlung. Mit Blick auf die aneinandergereihten Geschäfte, Restaurants und Imbissbuden sagt Silja: »Wenn es heute noch ein oder zwei Schauer gibt, dann haben die hier einen guten Tag. Keiner geht mehr zum Strand und alle wollen shoppen.« Nach einer Pause fügt sie hinzu: »Hoffentlich beruhigt sich das Wetter zum Wochenende. Ich habe mich so darauf gefreut, dir meinen Lieblingsstrand zu zeigen.«
»Wo ist der denn?«
»Zwischen Wenningstedt und Kampen, direkt unterm roten Kliff. Dort bei Sonnenuntergang zu sitzen ist überwältigend. Du warst noch nie auf Sylt, oder?«
Judith antwortet nicht gleich, und Silja blickt die Freundin irritiert an. Mit einer kurzen Verzögerung erklärt Judith: »Na ja, doch. Ein- oder zweimal. Ist aber lange her.«
»Als Kind?«
»Nö, so lange auch wieder nicht.«
Silja Blanck wäre keine Kriminalistin, wenn sie nicht merken würde, dass sie offenbar an ein Thema gerührt hat, über das Judith nicht sprechen möchte. Aber Judith ist keine Verdächtige, und Silja nicht dazu da, etwas aus ihr herauszukitzeln. Also redet sie möglichst unbekümmert weiter.
»Wir könnten am Abend unterm Roten Kliff ein Picknick machen. Weißwein und Tramezzini und ein paar Erdbeeren, was hältst du davon?«
»Klingt verlockend. Vielleicht heute? Morgen Abend lade ich dich nämlich ein. Ich weiß ein richtig gutes Restaurant.« Und mit einer kleinen Verzögerung fügt sie an: »Hat mir letztens eine Freundin empfohlen.«
Judith und Silja sind mittlerweile am Ende der Straße angekommen, wo nur noch die Kurpromenade sie vom Meer trennt. Der Wind ist hier viel stärker und lässt Judiths blonde Mähne wehen.
»Brauchst du ein Haargummi?«, fragt Silja und kramt in ihrer Tasche. »Ich habe normalerweise immer eins dabei, weil du nach einer Stunde Wind mit der Bürste nicht mehr durch die Haare kommst.«
»Ja danke.« Judith nimmt Silja das Gummi aus der Hand und zieht die Haare hindurch. Dabei stellt sie sich mit dem Gesicht zum Wind, der von Norden kommt.
»Guck mal da vorn, das ist ja merkwürdig.«
»Was denn?«
Silja muss nicht lange in die angewiesene Richtung sehen, um zu erkennen, was Judiths Aufmerksamkeit erregt hat. Während sich überall am Strand ein geselliges Leben entfaltet, Kinder buddeln und Paare Federball spielen, sind ein Stück weiter hinten alle Körbe leer. Nur ein paar große schwarze Taschen stehen am Rand einer Absperrung aus rotweißem Flatterband. Und wenn Silja nicht alle Sinne täuschen, dann wird gerade ein Leichensack auf einer Bahre über den Sand getragen.
»Mist, das sieht gar nicht gut aus. Vielleicht ist jemand ertrunken oder hat einen Herzschlag bekommen. Oder aber …«
»Oder es hat einen Mord gegeben?«, fragt Judith neugierig.
»Ich hoffe nicht. Denn dann ist es vorbei mit dem ruhigen Wochenende. Und ich habe mich so darauf gefreut.«
Angespannt zieht Silja ihr Handy aus der Tasche und mustert das Display. Noch ist jedenfalls keine Nachricht von den beiden Kollegen eingegangen. Und sie wird sich hüten, Sven und Bastian von sich aus zu kontaktieren. Vielleicht lässt sich das Wochenende mit Judith ja doch noch retten.
Freitag, 17. Juni, 11.35 Uhr,
Kriminalkommissariat Westerland
Fluchend sitzt Bastian Kreuzer in seinem Büro in der ersten Etage des Backsteinbaus. Während unten auf der Wache die uniformierten Kollegen sich wieder ihren alltäglichen Aufgaben widmen, geht für den Hauptkommissar jetzt die eigentliche Ermittlungsarbeit los. Vor sich hat Kreuzer sämtliche Vermisstenanzeigen der letzten zwei Wochen. Und zwar nicht nur aus Sylt, sondern aus ganz Schleswig-Holstein. Unter den vermisst gemeldeten Personen sind drei Frauen, die vom Alter her in etwa zu der Toten passen würden.
Die Erste, eine Bäckereifachverkäuferin aus Husum, verschwand nach einem Ehestreit. Die zuständigen Ermittler schließen einen Racheakt des Ehemannes nicht aus, er ist einschlägig vorbestraft. Aber die Verschwundene hat ein
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