Männer sind Helden
Sie dieses Tier vor dem sicheren Tod gerettet. Wahrscheinlich ist sie einfach ausgesetzt worden. In diesem Alter können sich Katzen noch nicht selbst ernähren. Noch einen Tag länger, und sie wäre gestorben.“
Nachdem Dr. Krützfeld die Spritze injiziert hatte, säuberte er das ge-schwollene Auge und desinfizierte es. Dann gab er mir ein Aufbaupräparat mit auf den Weg. „Mischen Sie davon zwei Teelöffel ins Futter, und in drei Tagen kommen Sie noch einmal vorbei.“
Ich bedankte mich und wollte schon gehen, da fiel mir noch etwas ein. „Ist es übrigens ein Männchen oder ein Weibchen?“
„Ein Weibchen.“
„Oh, wie schön. Dann wird sie sich hervorragend mit meiner anderen Katze verstehen.“
Tiffany und Audrey, so hatte ich das Kätzchen getauft, waren wirklich von Anfang an ein Herz und eine Seele. Tiffany fühlte sich als Beschützerin, jedenfalls wich sie dem Katzenbaby nicht mehr von der Seite. Die beiden fraßen aus einem Napf, spielten mit derselben Gummimaus und schliefen beide zusammengerollt an meinem Fußende. Wir verbrachten unsere Fernsehabende jetzt zu dritt, Tiffany auf meiner linken und Audrey auf meiner rechten Seite.
Außerdem stürzte ich mich in die Arbeit, saß oft bis kurz vor Mitternacht im Büro. Spaß empfand ich dabei zwar nicht, aber dadurch musste ich nicht ständig über alles nachdenken. Das Thema Frauen hakte ich erst einmal ab.
Eines Freitags verließ ich etwas früher das Büro, weil ich eine Runde im Park joggen wollte. Frau Rohrbein und Frau Freudenthal blieben länger, weil sie einige Schriftsätze tippen wollten. Zu Hause merkte ich, dass ich eine Akte vergessen hatte, in die ich mich vertiefen wollte. Deshalb kehrte ich zum Büro zurück. Es war mittlerweile nach acht Uhr, und trotzdem brannte noch Licht. Die Tür war offen. Merkwürdige Geräusche drangen mir aus dem Besprechungszimmer entgegen – wie das Heulen junger Seehunde. Auf Zehenspitzen ging ich auf die Tür zu, die ein Spalt geöffnet war. Zehn Frauen saßen im Schneidersitz auf dem Fußboden, darunter Frau Rohrbein und Frau Freudenthal. Alle Frauen waren schwanger – bis auf Frau Rohrbein. Die Frauen hielten ihre Hände über den Bäuchen verschränkt und summten mit verklärten Gesichtern: „Huhihuhihuihui“.
„Sehr gut, meine Damen!“, sagte eine Frau, die vor der Gruppe stand und der Leiterin des Reiki-Kurses von Irene, Susi und Isabel zum Verwechseln ähnlich sah. Auch sie trug lila eingefärbte Pumphosen, einen selbst gestrickten Schafswollpulli und dazu passende Strümpfe sowie pinkfarbene Birkenstockschuhe. Die Schwangeren trugen Jogginghosen und weite Gewänder, ebenfalls lila, die an hübsche Vorzelte erinnerten.
„Meine Damen, Sie müssen sich noch mehr in die Seele eines trächtigen Walweibchens einfühlen. Spüren sie seine Kraft und seine Ausgeglichenheit. Wenn bei Ihnen die Presswehen einsetzen, denken Sie einfach an den Meeressäuger, ahmen Sie seine Stimme nach, und schon wird alles wie von selbst laufen. Ich mache es Ihnen noch einmal vor.“ Sie richtete sich auf und presste ein inniges „Huhihuhihui“ hervor.
Die anderen Frauen ahmten das Geräusch artig nach: „Huhihuhihuhihuhi.“
„Herr Doktor!“ Frau Rohrbein hatte mich entdeckt und lief rot an wie eine überreife Erdbeere. Die anderen Frauen verstummten. Frau Rohrbein schob mich beiseite und schloss die Tür hinter sich zu. „Es ist nicht so, wie Sie denken“, sagte sie leise.
„Wieso, was soll ich Ihrer Ansicht nach denn denken?“
„Dies ist der Geburtsvorbereitungskursus von Frau Freudenthal. Die Frauen konnten sich heute nicht in ihrem Raum treffen, weil dort renoviert wird. Deshalb habe ich gedacht ... Ich meine, Sie haben doch nichts dagegen, oder?“
„Sie hätten mich wenigstens fragen können.“
Frau Rohrbein nickte schuldbewusst. „Ich hoffe, das kommt nicht wieder vor“, sagte ich streng. „Das ist schließlich eine Kanzlei und kein Frauenzentrum.“
Die Psyche der Frauen war mir immer mehr ein Rätsel. Was trieb sie dazu, kollektiv den Gesang eines schwangeren Walfisches nachzuahmen? War das weibliche Geschlecht noch ganz bei Trost? Warum gehen ansonsten ganz vernunftbegabte Frauen wie Isabel in einen Reiki-Kurs, um sich selbst zu befreien? Ich verstand die Welt nicht mehr.
Rudi erging es übrigens nicht anders. Ich besuchte ihn in seinem Büro, alle Mitarbeiter waren schon gegangen. Als ich ihm meine Gedanken schilderte, seufzte er nur: „Wem sagst du das!“ Er saß an seinem
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