Männer sind Helden
war der nächste Redner an der Reihe.
Als die Kellner den Nachtisch brachten, war ich satt, schläfrig und hatte überhaupt keine Lust mehr, Hochzeitsreden zu hören, zumal Tante Irmi mir bis dahin fast einen Blumenkohl ans Ohr gequatscht hatte. Ich wusste mittlerweile über sämtliche Krankheiten Bescheid, an der sie und Gerda litten oder gelitten hatten. Und über alle Krankheiten der Verwandten, Bekannten und Nachbarn der beiden Schwestern. Besonders über den Zustand ihres Hüftknochens war ich nunmehr vollständig im Bilde. „Mein Hüftleiden bringt mich noch einmal um“, sagte sie immer wieder. Nach dem Dessert schafften wir es, uns von Frau Rembrandt und den zwei Tanten loszueisen. Wir gingen raus auf die Terrasse, wo sich unsere Freunde bereits eingefunden hatten. Udo, Irene, Alfred und Hilde standen im Garten, der an einen kleinen See grenzte.
„Da seid ihr ja endlich!“, begrüßte uns Alfred. „Wir dachten schon, ihr wollt den ganzen Abend mit den Tanten und Rudis Mutter verbringen.“
„Wo sind denn Heinzi und Annegret?“, fragte ich in die Runde. Annegret war die Frau von Heinz.
„Der Annegret geht es nicht gut“, erwiderte Irene. „Heinzi ist mit ihr eine Runde spazieren gegangen.“
Irene sah wieder einmal phantastisch aus: Sie trug ein cremefarbenes, enges Spitzenkleid und ein dazu passendes Bolerojäckchen. Ihre Haare hatte sie zu einer Banane eingedreht und hochgesteckt. An ihren schlanken, langen Fingern glitzerten mehrere edelsteinbesetzte Goldringe.
Der Vater von Susi erschien: „Liebe Gäste, in wenigen Minuten wird der Tanz eröffnet!“
Wir gingen in den Ballsaal, in dem die Musiker einer Band gerade dabei waren, ihre Musikinstrumente aufeinander abzustimmen. Rudi kam auf mich zugelaufen, mit hektischen roten Flecken im Gesicht.
„O je, Alex, jetzt kommt der Eröffnungswalzer!“, sagte er mit krächzender Stimme.
Ich klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter: „Das wirst du schon packen!“
Rudi erwiderte nichts, sondern stürmte los, um seine Braut zu suchen.
Alle Hochzeitsgäste versammelten sich am Rande der Tanzfläche.
Einige Zeit später erschien das Brautpaar, und die Band begann, den „Schneewalzer“ zu spielen. Die beiden tanzten mit konzentrierten Gesichtern zum Takt der Musik. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass Rudi einige Zentimeter kleiner war als Susi.
Nach dem Eröffnungswalzer tanzte ich mit Isabel und dann mit allen Damen, die mir keinen Korb gaben. Frau Rembrandt jauchzte vor Vergnügen, als ich sie zu fetziger Soulmusik über die Tanzfläche schob. Kurz vor Mitternacht wurde das Licht gelöscht, und zwei Kellner rollten die Hochzeitstorte herein, auf der mehrere Wunderkerzen brannten. Wieder ging ein „Ohh“ und „Ahh“ durch die Menge. Frau Rembrandt klatschte freudig in die Hände: „Nein, ist das schön! Dass ich das noch erlebe!“
Ich ging kurz hinaus, um auf die Toilette zu gehen. Als ich wieder den Saal betrat, war es dort merkwürdig still. Fast alle Frauen standen innerhalb einer Hälfte des Saales, die Augen nach vorne gerichtet. Ich ging flotten Schrittes in ihre Richtung und hörte noch ein „Achtung, Alex!“, als mich etwas am Kopf traf. Erschrocken blickte ich zu den Frauen, die kichernd nebeneinander standen, darunter auch Isabel. Rudi kam aus der anderen Ecke des Saales und ging grinsend an mir vorbei, um das Ding aufzuheben, das mich am Kopf getroffen hatte.
„Hier, Alex!“, sagte er und hielt mir Susis Brautstrauß entgegen. „Herzlichen Glückwunsch, du bist der Nächste, oder sollte ich die Nächste sagen, hahaha.“
Plötzlich stand Susi vor mir und umarmte mich: „Alex, bitte entschuldige! Wie konnte mir das nur passieren?“
Dann kamen die anderen unverheirateten Frauen auf mich zu, um mir ebenfalls zu gratulieren.
23. Kapitel
Die Eltern von Isabel waren wirklich ganz anders als meine.
„Wie schön, Sie endlich kennen zu lernen“, begrüßte mich Frau Rath und schloss mich in ihre Arme. Sie war eine große, schlanke Frau mit rot gefärbten Haaren und unzähligen Lachfalten um die lebhaften, dunkelgrünen Augen. Sie trug weite, ausgewaschene Jeans und einen selbst gestrickten Pulli aus Schafwolle. „Ich habe im Wintergarten den Kaffeetisch gedeckt. Geht ruhig schon einmal vor, mal sehen, ob ich Konrad irgendwo finden kann.“ Ich blickte Isabel fragend an, während wir unsere Jacken an die Garderobe hängten. „Konrad, so heißt mein Vater“, sagte sie. „Komm, ich zeige dir kurz das Haus.“
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