Männer sind Helden
Die Raths wohnten in einer wunderschön restaurierten Jugendstilvilla am Stadtrand. Die Räume waren groß, hell und gemütlich eingerichtet. Neben vielen Antiquitäten gab es auch einige moderne Möbel, zum Beispiel ein knallrotes Sofa im Arbeitszimmer von Herrn Rath und Regale aus Stahl und Holz. „Meine Eltern lieben Stilbrüche“, erklärte Isabel und führte mich in das Wohnzimmer. Dort standen ein schwarzes Ledersofa und zwei dazu passende Sessel mit Armlehnen aus Buchenholz. Auf dem kleinen, niedrigen Couchtisch türmten sich Bücher und Zeitschriften. Im Kamin prasselte das Feuer. Der Wintergarten grenzte direkt an das Wohnzimmer, mit Blick auf den wild wuchernden Garten. Wir setzten uns auf die Korbstühle, und Isabel schenkte mir Kaffee ein.
„Wollen wir nicht auf deine Eltern warten?“
„Ach, das kann noch dauern. Wer weiß, wo mein Vater wieder steckt.“
„Wie meinst du das?“
„Mein Vater ist oft ziemlich zerstreut. Er ist Chemieprofessor und beschäftigt sich den ganzen Tag mit seinen wissenschaftlichen Problemen. Sie legte mir ein Stück Pflaumenkuchen auf den Teller. „Möchtest du Sahne?“
Ich nickte: „Ja, gerne.“
„Schau, dort hinten kommen meine Eltern!“
Ich sah, wie die beiden aus der hintersten Ecke des Gartens auf uns zukamen. Isabels Vater trug Kordhosen, ein altes Tweedjackett und dunkelgrüne Gummistiefel. Seine grauen Haare waren zerzaust. Er strich sich mit der Hand eine Strähne aus der Stirn. Seine andere Hand hatte er um die Hüfte seiner Frau gelegt. Draußen wehte ein heftiger Wind und drückte die Regentropfen gegen die Fensterscheiben des Wintergartens. Vereinzelnd wirbelten gelbe und rote Herbstblätter durch die Luft. Als die beiden die Tür öffneten, zischte ein Luftzug durch den Raum. Herr Rath ging auf Isabel zu und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Wie schön, dass ihr gekommen seid!“ Dann drehte er sich zu mir um: „Und Sie sind bestimmt Herr Grühnspahn, der neue Mann an der Seite meiner Tochter?“
Ich stand auf, um ihm die Hand zu schütteln. Er hatte einen festen Händedruck und für drei Sekunden musterte er mich mit seinen Adleraugen, ohne eine Miene zu verziehen. Ich hielt seinem Blick stand. Nach dieser ersten Prüfung lachte er. „Nun, was gibt es zu essen?“
„Deinen Lieblingskuchen“, antwortete seine Frau und reichte ihm einen Teller.
„Einen Moment, ich ziehe mir nur kurz andere Schuhe an.“
Als er wiederkam, setzte er sich auf den letzten freien Korbstuhl und schlug seine Beine übereinander. Er trug links einen blauen und rechts einen grünen Socken. Im Beruf war Herr Rath alles andere als zerstreut. Ich erfuhr, dass er ein renommierter Wissenschaftler war, der sich aktiv für den Umweltschutz einsetzte. Er war dafür bekannt, unbequeme Fragen zu stellen. Er hielt nichts davon, nur in seinem Elfenbeinturm zu sitzen. „Wir Wissenschaftler müssen unsere Kenntnisse an alle Menschen weitergeben, nicht nur an eine intellektuelle Minderheit.“ Sein Spezialgebiet seien Gifte am Arbeitsplatz. „Sie glauben gar nicht, wie viele Menschen durch Chemikalien erkranken, mit denen sie täglich während ihrer Arbeit in Berührung kommen. Viele werden regelrecht durch ihren Beruf krank. Das müsste Sie als Jurist doch auch interessieren?“ Als ich bejahte, ging er in sein Arbeitszimmer, um mir einige Unterlagen zu besorgen. Nach einer halben Stunde war er immer noch nicht zurück. Isabel und Frau Rath schienen sich nicht zu wundern. Als der Professor nach einer Stunde immer noch nicht gekommen war, hielt ich es nicht mehr aus: „Wo bleibt nur Ihr Mann?“
Frau Rath blickte mich erstaunt an. „Wieso? Konrad ist doch noch gar nicht lange weg.“ Dann machte sie eine Pause und blinzelte mich an. „Ich denke, ich werde mal nach ihm sehen.“ Als sie zurückkam, wurde es bereits dunkel. „Tut mir leid, Alex“, sagte Frau Rath und reichte mir einen Stapel gebundener Kopien. „Mein Mann ist wieder einmal in seine Arbeit vertieft. Er hat mich gebeten, Ihnen diese Papiere zu geben.“
Im Auto fragte mich Isabel, welchen Eindruck ihre Eltern auf mich gemacht hätten.
„Oh, deine Mutter ist wirklich reizend. Dein Vater ist mir ebenfalls sehr sympathisch. Es ist interessant, sich mit ihm zu unterhalten. Ich meine, wenn er anwesend ist.“
„He!“, knurrte Isabel und knuffte mich in die Seite. „Keine Witze über meinen Vater, ja?“
24. Kapitel
Das Wunder war geschehen: Leo hatte die Idiotenprüfung beim TÜV
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