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Maenner und andere Katastrophen - Roman

Maenner und andere Katastrophen - Roman

Titel: Maenner und andere Katastrophen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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ich ihr vorschlug, uns mit Vornamen anzureden. »Ich wette, alle nennen dich Judy, wie den Affen aus Daktari.«
    Ich sagte, dass das bis jetzt noch niemandem eingefallen sei. Außerdem konnte ich mich nur an den schielenden Clarence erinnern.
    »Das ist aber schade!«, fand Rotraut Marode-Rodersberg. »Ich finde Judy viel süßer als Judith. Hast du was dagegen, wenn ich dich Judy nenne? Ich finde, das passt viel besser zu dir.«
    Ich hatte schon was dagegen, war aber zu feige, um zu widersprechen und mich bei ihr mit einer Verhunzung ihres Namens zu revanchieren. »Rotti« hätte auch nicht im Entferntesten zu ihrer lieblichen Erscheinung gepasst, sondern viel besser zu einem sabbernden Rottweiler.
    »Ach, Gottchen, sind das viele Tasten«, rief Rotti aus, als sie den Computer sah.
    Ich schwieg verdutzt. Um den Umgang mit dem Textverarbeitungsprogramm zu erlernen, schlug ich ihr schließlich vor, einige Briefe, die der liebe Herr Römer auf Band diktiert hatte, einzugeben.
    »Meinst du, dass du das kannst?«, fragte ich Rotraut misstrauisch.
    »Schreibmaschine kann ich blind schreiben«, erklärte sie.
    »Dann wirst du es ja mit dem PC noch viel leichter haben«, sagte ich erleichtert und ein bisschen beschämt. Schließlich konnte ich noch nicht mal offenen Auges eine Schreibmaschine bedienen.
    Ich zeigte Rotraut, wie sie das Band anhören konnte. Als wir dann endlich so weit waren, mit der Anschrift des Empfängers zu beginnen, wollte Rotraut mir eine Kostprobe ihres Könnens geben.
    »Ich kann blind schreiben«, wiederholte sie, schloss die Augen und hämmerte los. Als sie fünf Sekunden später wieder die Augen öffnete, stand da: Qw R94jq. U9w53ü 7k I3553hgq7j#
    Ich konnte es nicht fassen.
    »Was ist denn das für ein komischer Computer?«, fragte die Marode ärgerlich. Sie war in ihrem Blindflug wohl um eine Tastenreihe zu weit nach oben gerutscht. Ich machte sie darauf aufmerksam, dass die Adresse außerdem üblicherweise nicht in eine einzige Zeile geschrieben wurde.
    »Wer sagt das?«, wollte die Marode wissen.
    »Das ist eben so«, sagte ich und schlug vor, es von jetzt an mit offenen Augen zu versuchen.
    »Von mir aus«, seufzte die Marode und machte sich wieder an die Arbeit.
    Zu meinem maßlosen Entsetzen brauchte sie eine Viertelstunde, bis das Adressfeld fertig eingegeben war und sie das Band weiter abhören konnte. Nach einer Sekunde hielt sie wieder inne.
    »Sehr geehrter Herr Professor«, sagte sie und verdrehte ihre schönen Augen, »also, dass man so was heute noch schreibt!«
    Ich sagte gar nichts.
    »Ach, Gottchen!«, rief sie eine Minute später, als sie sich mit dem ersten Satz herumquälte. »Wie wird denn das geschrieben?«
    Ich zeigte ihr stumm, wo der Duden stand. Sie blätterte fünf Minuten darin herum. Dann ließ sie das Buch sinken und sagte: »Das Wort steht nicht drin, Judy.«
    »Welches Wort?«, fragte ich. »Es steht sicher drin.«
    »Wahrscheinlich«, sagte sie.
    »Welches Wort?« wiederholte ich, aber ›wahrschein-lich‹ war das Wort. Sie wusste nicht, ob man es ohne oder mit ›h‹ schreibt.
    »Wahrscheinliche steht ganz sicher im Duden und wird ganz sicher mit ›h‹ geschrieben«, sagte ich.
    »Es steht nicht im Duden, und ich bin mir auch nicht sicher, ob es mit ›h‹ geschrieben wird«, sagte die Marode angriffslustig.
    »Es wird mit ›h‹ geschrieben, und es steht im Duden!«, sagte ich ärgerlich.
    »Auf deine Verantwortung«, versetzte die Marode pikiert und tippte das Wort ein. Auf diese Weise wurde es Mittag, bis sie das Brieflein fertig hatte. Ich war völlig erledigt.
    Stefanie und ich nahmen die Marode mit in die Kantine.
    »Ach, Gottchen, eigentlich esse ich mittags nie was, weil ich abends immer für meinen Göttergatten koche«, sagte sie, warf ihre Haarpracht in den Nacken und schlug ihre perfekten Beine übereinander, »aber ich kann euch ja zusehen.«
    Während sie das tat, erzählte sie uns ungefragt aus ihrem aufregenden Leben. Sie hatte bereits eine kaufmännische Lehre, ein abgeschlossenes Studium und einige Jahre im Ausland hinter sich gebracht, bevor sie geheiratet hatte, sagte sie. Ich glaubte ihr kein Wort.
    »Wahrscheinlich mit ›h‹«, murmelte ich in meine Königsberger Klopse.
    »Mein eigentliches Berufsziel ist es, die Diplomatenlaufbahn einzuschlagen, weil ich in der Welt herumkommen will«, vertraute uns die Marode abschließend an und stand auf, um sich ein Glas Wasser zu holen.
    »Hoffentlich kommt sie nicht ins Konsulat nach

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