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Maenner und andere Katastrophen - Roman

Maenner und andere Katastrophen - Roman

Titel: Maenner und andere Katastrophen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Frage stellen: Was will uns der Künstler damit sagen?«
    Das klang einleuchtend. Niemand würde je eine Erklärung dafür finden, warum das Abbild eines Bankiers aus Breibach mit gebrochener Nase an Fäden den Namen ›Atrophie‹ trug. Was bedeutete Atrophie überhaupt?
    »Wie viel hat dir der Galerist dafür gegeben?«
    »Vierhundert für jede, aber das war ein einmaliger Freundschaftspreis«, sagte Mo schnell. »Der hat sie unter Garantie für das Dreifache verkauft.«
    Ich zählte die Scheine in meiner Hand.
    »Aber das sind ja noch mehr als achthundert.«
    Mo sah ein bisschen verlegen aus.
    »Mein Hotzenplotz gefiel ihm so gut, dass ich ihn schließlich auch hergegeben habe«, sagte er. »Du kannst mir einen neuen machen, bei Gelegenheit.«
    »Ich hatte ihn dir geschenkt, also ist das Geld auch dein Geld«, sagte ich großzügig und reichte ihm ein paar Scheine zurück.
    »Ich habe ihn ›Repression‹ genannt«, sagte Mo und wedelte mit dem Geld in der Luft herum. »Hey, wir sind reich, Schwester!«
    »Meinst du wirklich, wir können damit Geld verdienen?«
    »Der Galerist hatte die Puppen innerhalb von zwei Tagen verkauft und will unbedingt mehr davon«, sagte Mo und kniff mich zärtlich ins Ohr. »Und dann werden wir reich, reich, reich!«
    Das war eigentlich genau, was ich wollte.
    »Meinst du wirklich?«, hauchte ich begeistert.
    Eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf flüsterte zwar: »Geld macht dich nicht glücklich!«, aber ich wusste, dass die Stimme log. Schon allein die Vorstellung machte mich glücklich.

Feiertag
    Am Tag vor Rebeccas Modenschau fuhr ich mit Mo, Steffen und Rebecca in aller Herrgottsfrühe zum Großmarkt, um die Unmengen tiefgefrorener Shrimps und exotischer Früchte für das Büfett einzukaufen. Anschließend taten wir, was wir konnten, um den Laden in eine prächtige Festhalle für das Debüt eines neuen Stars am Modehimmel zu verwandeln. Mo und Steffen schraubten ihre jetzt absatzsicheren Lagerhauspaletten aneinander und installierten die Beleuchtung. Rebecca und ich drapierten eine ganze Lastwagenladung Schleiernessel in wundervoll üppiger Avantgarde. Anschließend schleiften wir die Säcke mit Quarzsand vom Flur hinein, verteilten den Inhalt fünf Zentimeter hoch auf dem Boden und zogen ihn mit Rechen und Besen glatt.
    Als Mama in Hut und Kostüm kam, um uns zu mahnen, uns rechtzeitig für die Hochzeit fertigzumachen, war der kleine Laden in eine nesselfarbene Stoffhöhle verwandelt, durch Steffens Spots hinter dem Stoff in weiches, schmeichelhaftes Licht getaucht, das sich geheimnisvoll in den winzigen Prismen des Sandes brach.
    Mama war von unserer avantgardistischen Dekoration alles andere als begeistert. Sie schlug die Hände über dem Hut zusammen und rief: »Kinder, wie wollt ihr den Sand hier jemals wieder hinausbekommen? Habt ihr daran mal gedacht?«
    Wir lächelten sie verständnislos an. Was bitte sollte es bringen, sich zu einem solchen Zeitpunkt über derartige Dinge den Kopf zu zerbrechen?
    Der Rest des Tages ging dann für die Hochzeitsfeier meiner Cousine Simone mit Pietäten-Ralf drauf.
    Es ließ sich allerdings zuerst ganz lustig an.
    Mo und ich hatten den Auftrag erhalten, das große Ereignis auf Video festzuhalten. Wir wetteiferten um die komischsten Aufnahmen und rissen uns gegenseitig die Kamera aus der Hand.
    Mir glückte es, den Weg der Reiskörner, die vor der Kirche geworfen wurden, von den Körbchen der Blumenkinder bis in den Ausschnitt der Braut auf dem Band festzuhalten.
    Außerdem war ich mit Abstand die schönste unter den weiblichen Gästen, fand ich jedenfalls. Nur Zarah - als Schwester der Braut in schulterfreiem Feuerrot - konnte mich möglicherweise noch leicht übertreffen. Ich trug mein grasgrünes Lieblingskleid, das über und über mit lebensechten Stofferdbeeren behängt war und durch einen sündhaft tiefen Ausschnitt von meiner gewöhnungsbedürftigen Haartracht ablenken sollte. Ich war am Vortag notgedrungen bei einem anderen Friseur gewesen, der die schlimmsten Verheerungen auf meinem Kopf behoben und die Stufen angeglichen hatte, soweit es möglich war. Jetzt sah es beinahe aus wie beabsichtigt.
    Die anderen, außer vielleicht Rebecca, meine Mutter und Paula in edlen Rebecca-Raabe-Kreationen, waren Lichtjahre außer Konkurrenz. Allerdings muss ich zugeben, niemals eine Ansammlung geschmackloserer Kleider angetroffen zu haben. Es gab eine Menge unbeschreiblicher, großgemusterter Plisseeröcke, schneeweißer Rüschenblusen und

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