Maenner und andere Katastrophen - Roman
überdimensionaler Ohrclips in Signalrot und Eidottergelb, und das alles hundert Prozent Plastik!
Aber das wirklich Unglaublichste war das Brautkleid.
»Ach, du Schreck«, entfuhr es selbst unserer wohlmeinenden Mutter, als wir den ersten Blick auf die Braut in einem Quadratkilometer weißer Gardine mit kiloweise Plastikperlen werfen konnten, den Simone Meter für Meter aus einer weiß lackierten Hochzeitskutsche hervorzog.
Die Videokamera weidete sich unbemerkt an Mamas Gesichtsausdruck, bevor ich hinüber zum Objekt ihres Entsetzens schwenkte und genüsslich an den Falten, Biesen, Spitzen, Rüschen, Stickereien und Schleifen auf- und abfuhr.
Außerdem gelangen mir vielversprechende Aufnahmen von Angehörigen der Generation, die immer noch nicht verstanden hat, dass Video nicht nur sieht, sondern auch hört.
»Das Kleid ist doch einfach scheußlich«, sagte eine Tante zu meiner Freude, während sie scheinheilig in die Kamera lächelte. »So überladen mit all dem Perlengedöns! Und es macht dick in der Taille.«
Vor dem Gabentisch stand eine andere Tante und deutete auf ihr Geschenkpaket.
»Das war der letzte Toaster von Mias Hochzeit«, erklärte sie hinter vorgehaltener Hand. »Vier Stück hat sie davon gekriegt. Jetzt haben wir noch zwei Eierkocher, vier Tischstaubsauger und sechs Salatbestecke. Wenn du mal was brauchst - ist alles noch originalverpackt, wie neu.«
Das war im Kasten. Jedes Wort.
Mo gelangen ebenfalls ein paar nette Schnappschüsse. Er filmte, wie ein schnupfenverschmiertes Kleinkind nach den Erdbeeren an meinem Kleid grabschte und sich hartnäckig in einer verbiss. Als ich es endlich abgeschüttelt hatte, fing es auf der Stelle laut an zu heulen.
Die Mutter hörte auf, verzückt zu lächeln, und sagte vorwurfsvoll: »Waren die Erdbeeren bah? Waren die bahbah? Haben die dem Dennis gar nicht geschmeckt? Waren die bah?«
Ich ärgerte mich über die angesabberte Erdbeere, aber meine pikierten Blicke prallten an der dämlichen Mutter ab wie Gummibälle. Sie tat so, als wäre mein reizendes Kleid eine eigens angefertigte, hinterhältige Kleinkindfalle.
»Sollen wir mal gucken, ob wir was wirklich Leckeres für den Dennis finden?«, fragte sie die kleine Heulboje und verschwand außer der Reichweite der Kamera.
Mo lachte sich halb tot.
Die Sippe des Beerdigungsunternehmens Kühl und Söhne, die Familie von Paulas geschiedenem Mann, dem Brautvater, und schließlich Paulas Familie, also unter anderem auch wir, waren zusammengenommen so zahlreich, dass tatsächlich nicht alle in die kleine Kirche passten.
Weil die Sonne so schön schien, verzichteten Mo und ich großherzig zugunsten der kleinen, erdbeerfressen-den Monstermotte und seiner Mutter darauf, die Trauungszeremonie live mitzuerleben, obwohl wir in einem deutlich engeren verwandtschaftlichen Verhältnis zu den Brautleuten standen.
Die draußen gebliebenen vertrieben sich die Zeit mit Kennenlernspielen. Jeder stellte sich jedem eifrig vor.
»Ich bin die Schwester von der zweiten Frau des Vaters der Braut, und wer sind Sie?«
Mo und ich sagten ein paarmal höflich: »Wir sind Cousin und Cousine der Braut«, aber das wurde uns nach einer Weile zu langweilig, und so variierten wir ein wenig.
»Darf ich fragen, wer Sie sind?«, erkundigte sich die Schwester der Patentante der Brautjungfer, die wiederum eine Cousine des Bräutigams war.
»Ich bin die Tochter der Schwester des Bruders der Mutter der Braut«, sagte ich nach kurzem Nachdenken, und Mo erklärte: »Ich bin der Cousin der Nichte der Schwägerin des Vaters der Braut.«
»Unglaublich, und ich hätte Sie für Geschwister gehalten«, meinte die Schwester der Patentante der Brautjungfer.
Die Frauen überschütteten sich gegenseitig mit Komplimenten für ihre Garderobe. Zu meinem wundervollen Kleid aber sagte niemand etwas, außer der Frau des Bruders des Seniorbestatters Kühl.
»Machen Sie sich keene Sorgen wejen Ihrer Aufmachung, Frollein«, meinte sie freundlich. »Bei einer Hochzeit schauen sowieso nur alle auf die Braut.«
Trotzdem noch in guter Stimmung, machte ich mich über das Festessen her. Es war glücklicherweise nicht die Spur bah, sondern fein und lecker. In Ermangelung anderer alleinstehender Herren war mir der kleine Nils als Tischherr zugewiesen worden. Nils hatte genau wie ich Komplexe wegen seiner Frisur. Zarah hatte ihm am Morgen eigenhändig den Pony geschnitten, sodass es jetzt im oberen Drittel der Stirn aufhörte. Deshalb war Nils so mies gelaunt,
Weitere Kostenlose Bücher