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Männer und der ganz normale Wahnsinn

Männer und der ganz normale Wahnsinn

Titel: Männer und der ganz normale Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Templeton
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ihrer kompletten Montur wie verängstigte Grizzlybären wirken, so wie sie durch die Gegend trampeln und mit ihren Geräten klimpern, während sie versuchen, die Menschenmenge die Treppe hinunter zu dirigieren. Da ich vermute, dass sie Wichtigeres zu tun haben, nämlich zum Beispiel das Feuer in dem APARTMENT GENAU ÜBER MEINEM zu löschen, übernehme ich die Aufgabe, die verwirrten und verängstigten älteren Menschen den Flur und dann die Treppe hinunter zu treiben, die seit 1966 vermutlich niemand mehr benutzt hat. Ja, auch ich habe eine Scheißangst, aber zumindest ist mir klar, was hier vor sich geht.
    „Sie brauchen keine Angst zu haben, ganz bestimmt ist die Evakuierung nur eine Vorsichtsmaßnahme“, sage ich und lächle einer armen alten Frau zu, deren Kopfhaut unter dem auf Wicklern aufgedrehten weißen Haar rosa und verletzlich schimmert. In einem mit tropischen Blumen bedruckten Hausmantel, die Füße in Plastikslippern, klammert sie sich an meinen Arm. Ihr Griff ist überraschend kräftig. Sie riecht ein wenig nach Mottenkugeln und altem Parfüm. „Ich bin sicher, dass alle Wohnungen in Ordnung sind.“
    Sie starrt mit aufgerissenen Augen auf die Treppe. „Helfen Sie mir nach unten?“
    „Darauf können Sie wetten. Also los geht’s … vorsichtig …“
    Wir machen versuchsweise einen Schritt in Richtung Treppe, die restlichen Bewohner schwirren um uns herum. Der Lärm ist ohrenbetäubend.
    „Wie heißen Sie?“ fragt sie.
    „Ginger.“
    Sie betrachtet mich und sagt: „Ich heiße Esther. Esther Moskovitz.“
    „Schön, Sie kennen zu lernen, Mrs. Moskovitz.“
    Dafür schenkt sie mir ein Lächeln. „Wie nett, ein junger Mensch, der mich mit meinem Nachnamen anspricht. Heutzutage macht das doch keiner mehr“, erklärt sie und schlurft dabei mit der Geschwindigkeit eines Gletschers über den gefliesten Boden. „Jedermann will heute dein Freund sein und glaubt, es ist in Ordnung, den anderen mit dem Vornamen anzusprechen. Geradezu als ob es ihr Recht wäre oder so was.“
    Obwohl ich sowieso schon viel Gewicht mit mir rumschleppe, denke ich kurz darüber nach, ob ich sie die verdammten Stufen vielleicht runtertragen könnte. Denn bis ich sie nach draußen geschafft habe, wird entweder der Brand gelöscht oder das gesamte Gebäude niedergebrannt sein.
    „Sie sind dieses neue Mädchen, das gerade erst eingezogen ist, nicht wahr?“
    „Mhm.“ Gut, noch drei Schritte, bevor wir mit dem beginnen, was ein qualvoller Abstieg werden wird.
    Sie geht noch einen vorsichtigen Schritt und schielt dann zu mir hoch. „Sind Sie Jüdin?“
    „Nur halb. Gut, jetzt einfach den Fuß auf die erste Stufe stellen …“
    „Verdammt“, flucht sie, als ihr Knie kracht wie ein Gewehr. „Und die andere Hälfte?“
    „Italienisch.“
    Sie seufzt enttäuscht. „Schade. Mein Enkel hat sich gerade scheiden lassen und ist wieder auf der Suche. Aber keine Italienerin. Seine letzte Frau war Italienerin“, fügt sie hinzu, als ob das alles erklären würde.
    Ich höre ein Klirren und Stampfen und Zischen die Treppe hinaufkommen. Ein Feuerwehrmann mit schokoladenbraunen Augen taucht vor uns auf und erfasst die Situation in Sekundenschnelle.
    „Kommen Sie, Sweetheart“, sagt er zu der alten Frau. Sein Grinsen ist breit und umwerfend, und somit weiß ich, dass er vermutlich eine schwangere Frau und drei weitere Kinder zu Hause hat. Er streckt den Arm aus. „Darf ich bitten?“
    Und noch bevor Mrs. Moskovitz darüber nachdenken kann, nimmt er sie sanft auf den Arm und trägt sie die Stufen hinunter. Über seine Schulter hinweg sehe ich, wie ihr überraschter, schockierter Gesichtsausdruck einem glücklichen Grinsen weicht.
    Ich marschiere hinterher und trete endlich in die schwüle Nacht hinaus. Der Feuerwehrmann übergibt Mrs. Moskovitz wieder meiner Obhut und fordert uns auf, dahin zu gehen, wo der Rest der Bewohner steht. Alle starren in stummer Faszination nach oben. Auch ich starre hinauf und schnappe nach Luft, als ich die riesigen Flammen aus den Fenstern schießen sehe.
    „Oje“, murmelt Mrs. Moskovitz. „Die Wohnung direkt darunter ist Ihre, oder, Honey?“
    Meine Kehle ist zugeschnürt. Ich kann nur nicken.
    „Ich hoffe, Sie sind haftpflichtversichert, denn der Rauch- und Wasserschaden wird enorm sein.“
    Ich schlucke und frage sie, ob sie zurechtkommt, weil ich schnell … einen Anruf erledigen müsse. Nedra antwortet beim zweiten Klingeln, ihre Stimme klingt ganz verschlafen.
    Ich breche in Tränen

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