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Männer und der ganz normale Wahnsinn

Männer und der ganz normale Wahnsinn

Titel: Männer und der ganz normale Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Templeton
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aus.
    „Ginger?“ ruft sie. Und dann: „Oh mein Gott, Ginger! Was ist passiert, Baby? Bist du in Ordnung?“
    „Ich brauche deine Hilfe.“ Mehr kann ich nicht sagen.
    „Ich bin sofort bei dir“, antwortet sie. „Rühr dich nicht von der Stelle, Süßes, okay? Ich bin gleich da.“
    Zwanzig Minuten später bremst ein Taxi neben mir, und Nedra stürzt heraus.
    Ich werfe mich in ihre Arme, schluchzend wie ein Vollidiot. Ich spüre, dass sie nach oben schaut. „Warte mal … das ist der fünfte Stock, oder?“
    „Die Wohnung direkt über meiner.“ Wir beobachten, wie die Feuerwehrmänner auf einem dieser kirschroten Wagen mit dem Schlauch auf ein Fenster zielen. Tausende Gallonen Wasser, die alle vergnügt ihren Weg in meine Wohnung finden werden, meine Möbel durchweichen, meinen Teppich, meine Bücher … einfach all meine Sachen. Meine Sachen, verdammt noch mal.
    Ohne mich loszulassen dreht sich meine Mutter um und starrt in die Menschenmenge. „Weißt du, wer da oben wohnt?“
    Ich unterbreche mein Geheule lang genug, um ihrem Blick folgen zu können.
    „Der M-Mann mit dem weißen ärmellosen T-Shirt, glaube ich. Der mit dem riesigen Schnurrbart.“
    Meine Mutter drückt mich kurz, wischt mir mit der Handfläche über das Gesicht und lässt mich dann zurück, um mit dem wahrscheinlich verantwortlichen Mann zu sprechen, der das bisschen in meinem Leben, was noch übrig war, auch noch ruiniert hat. Eine Minute später kommt sie zurück. Erst jetzt fällt mir auf, dass sie einfach einen Pulli über ihr Nachthemd gezogen hat.
    „Das Feuer ist in der Küche ausgebrochen. Sie haben irgendwas gebraten, ich hab nicht wirklich alles verstanden, er spricht einen spanischen Dialekt, den ich nicht kenne …“
    „Hähnchen“, sage ich mit tonloser Stimme.
    „Wie bitte?“
    „Sie haben Hähnchen gebraten?“
    Sie schaut mich an, als ob ich den Verstand verloren hätte. „Ich habe keine Ahnung. Wie auch immer, ich wollte mich nur davon überzeugen, dass sie einen Platz haben, wo sie heute Nacht bleiben können.“
    Nun bin ich dran, fassungslos zu schauen. „Du nimmst mich doch auf den Arm.“
    „Aber nein, warum sollte ich dich auf den Arm nehmen?“
    „Du hast wirklich diesen Leuten, die daran schuld sind, dass die Wohnung deiner eigenen Tochter zerstört ist, angeboten, bei dir zu übernachten?“
    Sie zieht die Brauen zusammen, sie blickt eher überrascht als verärgert. „Nein, ich wollte sie nicht mit nach Hause nehmen. Aber ich hätte ihnen sagen können, wo sie Hilfe finden. Doch zufälligerweise haben sie Verwandte in der Bronx, dort können sie eine Weile wohnen, sagte der Mann. Aber um ehrlich zu sein, Ginger …“ Sie stößt einen Seufzer aus. „Diese Menschen haben vermutlich alles verloren, was sie besitzen. Vermutlich sind sie obdachlos. Du nicht.“
    Sie nimmt mir die große Tasche ab und läuft zum Taxi. Ich stelze hinter ihr her, die Handtasche an die Brust gepresst. Als ich an der Familie vorbeikomme, sehe ich, wie der Mann, mit dem meine Mutter gesprochen hat, einen Säugling an seine Brust drückt. Eine Frau, die vermutlich seine Frau ist, hängt an seinem Arm, starrt zu der Wohnung hinauf, die Augen sorgenvoll aufgerissen. Drei oder vier ältere Kinder drängen sich an sie, ein kleines Mädchen nuckelt am Daumen.
    Und in einem Käfig zu Füßen des Mannes starrt mich ein Hahn mit schief gelegtem Kopf an.
    „Tut mir Leid“, sage ich ein wenig später im Taxi.
    Ich spüre, wie meine Mutter sich in der Dunkelheit bewegt. „Was denn?“
    „Dass ich mich so bescheuert benommen habe.“
    Sie kichert. „Du hast in den letzten Wochen eine Menge durchmachen müssen. Du hast jegliches Recht, dich bescheuert zu benehmen.“
    Das finde ich auf bizarre Weise tröstlich.
    Morgens um vier sind die Straßen fast ausgestorben. Das Taxi hat eine grüne Welle erwischt. In wenigen Minuten kommen wir zu Hause an.
    Zu Hause.
    Ich halte den Atem an, schockiert darüber, wie schnell ich den Wohnsitz meiner Mutter wieder als meinen betrachte. Aber ich rede mir ein, dass das nur vorübergehend der Fall ist. Nonna begrüßt uns in einem schäbigen Nachthemd, durch das man ihre schlaffen Brüste sehen kann, und nimmt mir die Handtasche ab. Ich kann hier nicht bleiben. Zumindest nicht eine Sekunde länger als unbedingt nötig. Sobald ich …
    Sobald ich was? Nonna schiebt mich in mein altes Zimmer, ein frisch bezogenes Doppelbett heißt mich willkommen. Ich habe kein Geld, vermutlich keine Möbel mehr und

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