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Maenner wie Tiger

Maenner wie Tiger

Titel: Maenner wie Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Catto
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Zuletzt verkauft man eben, was man hat – um zu essen.«
    »Ich weiß, was sie verkaufen.«
    »Ist das so wesentlich?«
    »Wo kommen wir da hin?«
    »Ich weiß es nicht, Harry. Es gibt verschiedenerlei Tugend …« Harry wandte sich von mir fort und fragte Charley: »Weißt du den Weg zur Kirche?«
    »Zur Kirche?« fragte Charley, als wollte man ihm eine Falle stellen. »Wozu? Wollen Sie beten?«
    »Weißt du den Weg?«
    »Gewiß.«
    »Steh nicht da mit heraushängender Zunge und vernageltem Hirn! Führ uns!«
    »Ja, Senhor Harry.« Doch zu mir flüsterte er schnell: »Warum zur Kirche?«
    »Warum nicht?«
    »Hat er etwas Böses getan?«
    »Nicht so Böses wie du. Es ist wegen Tomasino.«
    Tomasino war ein tuberkulöser Bohrarbeiter, ein Indianer. Luke hatte ihm noch eine Woche zu leben gegeben. Der Alte überdachte nun, was für das Jenseits vorteilhafter wäre: die indianischen Götter oder der eine, der katholische Gott. Weil er vorher nicht wissen konnte, was besser sei, erwies er den indianischen Göttern privat seine Achtung, verlangte aber, daß ein Priester ins Lager komme, ihm hinüberzuhelfen. Es gibt eben mehrerlei Wege, die in den Himmel führen.
    Charley führte uns also zurück auf den Platz, praça do monumento genannt, unter die Palmen, die wie sehr alte Männer, wie Tomasino, nach Verwesung rochen. Als wir dahinwanderten, sagte ich nachdenklich: »Charley, bist du sicher – ich meine, was die Mädchen betrifft?«
    »Selbstverständlich.«
    »Da stimmt etwas nicht. Ich hab’ nicht das Gefühl, daß sie das sind, was du behauptest.«
    »Keine Huren?«
    »Ich weiß nicht. Sogar das Wort klingt hier fehl am Platz.«
    »Halten Sie mich denn für verrückt?« rief er aufgeregt. »Ich weiß Bescheid! Soll ich Ihnen etwas sagen?« Wie ein Spieler war er, der jetzt das Atout auflegt. »Die Mutter hatte in Sao Paulo einen Puff. Was wollen Sie mehr?«
    »Ist das wahr?«
    »Fragen Sie nicht mich, fragen Sie den Pfarrer!«
    »Der wird sich an das Beichtgeheimnis halten …«
    »Ach was! Beichtgeheimnis! In São Paulo gehörte sie zu seiner Pfarrei. Der patrón erzählte mir’s. Der weiß es auch.«
    Harry sah von der Seite her auf Charley, sah ihn fest an, und dann sah er auf mich, höhnisch, als hätte ich in seinen Augen an Wert verloren. Miguel sagte besorgt: »Wir wollen nie mehr davon sprechen, denn ihre Sünden stehen nur zwischen ihr und Gott.«
    Die Kirche war der Kern der Siedlung. Sie bauten die conquistadores immer zuerst, um den unterworfenen Indianern einen geistigen Mittelpunkt zu geben; dann Kasernen mit festen Gittern, um ihnen ein Gemeinschaftsgefühl zu geben; dann Plantagen, um sie beschäftigt zu halten. Die Kasernen sind jetzt Armenhäuser, immer noch mit denselben Gittern; wozu diese einst gedient hatten, war längst vergessen. Und die Kirche selbst, die kann nur durch ein Erdbeben beseitigt werden. In San Juacinta sieht sie mehr einer Scheune ähnlich als einem Ort der Andacht. Zwischen weißgetünchten Wänden war es still wie in einer Höhle und schwer von Weihrauch. Ein schwacher Schimmer sprang aus dem Dunkel hervor wie ein Wunder, aber es erwies sich als eine brennende Kerze neben dem Altar. Im lichtlosen Schatten trappelte es wie laufende Ratten, aber auch das täuschte, denn es erwies sich als das Schlappen von Sandalen: Der Priester kam auf uns zu. Ich bestaunte die Kreuzwegstationen, die Orgel – ein Museumsstück mit offenen Pfeifenspalten und Bälgen aus ungegerbtem Leder – und fühlte mich nicht gerade fromm. Ein paar Schritte vor uns blieb der Priester stehen und sah uns an. »Also?« sagte er scharf. Es war kein verheißungsvoller Beginn. Er trug eine graue Kutte mit ausgefranstem Saum. Seine nackten Knöchel waren dürr. »Ich bin Pater Luis«, sagte er und trat dem Licht näher, um uns besser sehen zu können. Er war etwa vierzig, hatte ein hohlwangiges, unrasiertes Gesicht und tiefliegende Augen, die feuriger brannten als seine Kerzen. Ein Gesicht, wie es Savonarola vielleicht gehabt hatte. »Kenne ich Sie nicht?« fragte er Charley.
    »Ja, ehrwürdiger Vater.«
    »Jetzt fällt es mir ein: Sie kommen ab und zu mit einem Flugzeug hierher.«
    »Ja, ehrwürdiger Vater.«
    »Von einem Camp, wo man nach Erdöl bohrt. Was wollen Sie hier?«
    »Der Senhor hier hat eine Bitte an Sie …«
    »Wir stören die Andächtigen.« Wie ich jedoch bemerkte, gab es in der Kirche keine Menschenseele, außer einem alten Weib vorn auf den Altarstufen. Wir gingen ins Freie.
    Der Priester

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