Maenner wie Tiger
fragte Harry: »Sind Sie der Chef?«
»Ich leite das Camp«, verbesserte ihn Harry. Ein subtiler Unterschied, gewiß.
»Was wünschen Sie?«
»In unserem Camp liegt ein alter Mann im Sterben. Er bat um Absolution …«
»Sie sind nicht katholisch?«
»Nein.« Ich dachte: Ob dies die Lage nicht etwas erschwert? Die Lippen des Priesters strafften sich. »Ist dort kein Geistlicher?« fragte er.
»Nein, dort gibt es keinen.«
»Welcher Ort ist das?«
»Gar keiner. Ein Camp mitten im Urwald, wo Männer arbeiten.«
»Weit von hier?«
»Ein Flug von ein paar Stunden. Wir würden Sie nächste Woche zurückbringen. Der alte Mann …«
»Ein gläubiger Sohn der Kirche?«
»Ein Indianer.«
»Danach habe ich nicht gefragt«, sagte Pater Luis ungeduldig. »Ich bin hier der einzige Priester. Ich habe eine große Gemeinde. Es geht nicht, daß sich der Hirte so lange von der Herde entfernt.« Er sah über seine Schulter auf das alte Weib vor dem Altar, lauschte ihrem Murmeln wie ein Lehrer, der die Lektion des Schülers abhört, und sagte nach einer Weile: »Ich will darüber nachdenken. Meine Zeit wird von vielerlei Dingen beansprucht.«
»Es ist schon gut«, sagte Harry achselzuckend. »Er könnte ja auch schon tot sein, wenn wir hinkommen.«
»Kommen Sie morgen wieder her!«
»Morgen fliege ich nach Recife. Übermorgen, wenn ich darf. Wir würden noch am selben Tag abfliegen.«
»Schön.« Über Charley schien sich Pater Luis im klaren, den kannte er. Als nächsten betrachtete er mich, zwar nicht hoffnungsvoll, studierte mein Gesicht und fragte: »Sind Sie …«
»Nein, ich bin gar nichts.«
»Agnostiker?«
»Nein, einfach gar nichts.«
»Gar nichts – das gibt es nicht!« rief er ärgerlich. »Der Glaube mag irregeleitet oder heimlich sein, aber etwas ist er immer, der Mensch« – als hätte Gott nie versäumt, jedes seiner Kinder bei der Geburt zu etikettieren. Die tiefliegenden Augen loderten, sie drängten in mich, als wäre die Sünde der Gleichgültigkeit, die ich begangen hatte, die schlimmste. Er hatte dünne, dürre Handgelenke. Ich sagte mir: Der ist von jener Sorte, welche mit grausamer Freundlichkeit Menschen auf dem Scheiterhaufen verbrennt, ihres Seelenheils wegen. Ob er unter seiner Kutte ein härenes Hemd trägt?
Ich mag Pfaffen, die vor Behaglichkeit fett werden. Die Hageren nämlich drängt es zu sehr, die Seelen zu retten.
Ich antwortete ihm: »Ich bin nur ein Mensch. Sollte ich mehr sein, werde ich rechtzeitig darauf kommen, jedenfalls lieber von selbst als anders.«
»Zu spät vielleicht.«
»Wofür?«
»Fürs Seelenheil.«
»Oh, das ist nicht gefährdet«, sagte ich unbekümmert. »Ich glaube nicht an Gott, aber ich glaube an seine Barmherzigkeit.«
»Die muß aber verdient werden.«
»Dann bin ich verloren, ich verdiene sie nicht.«
Damals schon hatte ich die unheilvolle Ahnung: Das ist nicht der richtige Priester für unser Camp! Tomasino sollte uns einen letzten Dienst erweisen und seine Überfahrt den alten indianischen Göttern überlassen.
Harry wandte sich zum Gehen, nur seine Augen blieben fragend auf Pater Luis ruhen. Er zögerte bis zum letzten Moment, dann erst sagte er: »Ja … noch etwas …« Ich fragte mich, was es wohl sein mochte.
»Wenn Sie sich kurz fassen …«, meinte der Priester. »Ich hab’ zu tun.«
»Eigentlich ist es nicht meine Sache.«
»Dann kann es auch nicht meine sein.«
Harry verblüffte mich. »Die dicke Frau … und ihre Töchter … dort in der Taverne …«, sagte er, als versenkte er einen Stein, die Tiefe des Wassers zu messen. »Sie kannten sie schon in São Paulo?« Charley blitzte mich an, erschrocken und triumphierend zugleich. Das hatte er nicht erwartet.
Ich bemerkte, wie sich das Gesicht des Priesters plötzlich verhärtete – seine grimmige Miene wurde scharf, schneidend. Er sagte nichts, sah Harry bloß an.
»… wo die Frau ein öffentliches Haus führte, Sie erinnern sich doch?« fuhr Harry fort. Unbedacht ging der Priester in die Falle.
»Wer sagte Ihnen das?« schrie er.
»Das tut nichts zur Sache.«
»Ich verbiete Ihnen, es auch nur mit einem Wort zu erwähnen!« fuhr er Harry an. Dunkel vor Zorn krümmte er die Finger. Zornig konnte er fast über alles sein. Unter seiner Haut saß ihm jene bläuliche Schwärze, welche nicht einmal beim Rasieren weggeht.
»Keine Angst! Ich schwatze nicht.«
»Warum also interessieren Sie sich?«
»Jetzt interessiere ich mich nicht mehr.«
»Aber Sie sagten doch eben
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