Maenner wie Tiger
…«
»Befürchten Sie nichts, ich wollte nur sicher sein.«
Ich blickte in die Kirche hinein. Da bemerkte ich, wie seltsam mich Pater Luis ansah – ein sensibler Priester, dachte ich. Er wandte sich in seinen schlappenden Sandalen zum Gehen, erinnerte sich, weswegen Harry gekommen war, und sagte: »Also übermorgen. Lassen Sie mich wissen, wann Sie abfliegen wollen.«
»Sie wollen damit sagen, daß Sie mitkommen?« fragte Harry überrascht.
»Gewiß.«
»Das nenne ich einen raschen Entschluß.«
»Ich entschloß mich schon vor fünf Minuten.«
»Und dies alles wegen eines alten Indianers, der vielleicht selbst nicht weiß, was er will …?«
»Ich bin noch nie geflogen.«
»Es ist ein weiter Flug über das Gebirge.«
»Ich bin in der Ebene geboren«, sagte Pater Luis leidenschaftslos. »Ich möchte auch Berge sehen.« Die Sandalen schlappten ins Dunkel, er war fort.
Als der Abend dämmerte, kehrte Harry zurück. Am Himmel, der schon den ersten Stern trug, hörte ich zuerst ein leises Brummen, oberhalb der Bäume erschien ein Tupfen, Landelichter blinkten, langsam und ruckweise sackte er ab. Er rollte auf der Landebahn heran und stieg aus.
Er sah entspannt aus, wie mir schien.
»Da bist du also«, sagte er.
»Du hast mich doch erwartet, nicht? War’s ein schöner Flug?«
»Ja, sehr.«
Er lächelte. Es war seit langem das erstemal, daß ich ihn so unbeschwert lächeln sah. Er bestieg mit mir das Fahrzeug. »Bleib bei der Kirche stehen und sag dem Priester, er soll morgen früh bereit sein. Wir fliegen um zehn.«
»Vielleicht wird’s ein bißchen später«, sagte ich zögernd. »Zehn Uhr wird wahrscheinlich nicht möglich sein.«
»Warum?«
»Nun, wegen der Fetten …«
»Die nehmen wir nicht mit!«
»Nein, bestimmt nicht, denn sie ist tot«, sagte ich.
Fünftes Kapitel
Die Entspannung wich aus seinem Gesicht. Er wirkte zutiefst bestürzt.
»Wann ist sie …«
»Heute früh. Kaum daß du fort warst.«
»Um Himmels willen!«
»Schau doch nicht so entsetzt drein! Du hast sie ja nicht umgebracht.«
»Nein, gewiß nicht.« Aber ich hatte ihm den Gedanken eingeimpft. Seine Augen weiteten sich seltsam, er sah mich fest an.
»Wann ist das …?«
»Ach, das ist schon vorbei. In dieser Gegend läßt man die Toten nicht lange über der Erde. Man hat sie am selben Nachmittag begraben.«
»Mit oder ohne Gitarre?« fragte Harry sarkastisch. Wieso ihm dieser merkwürdige Gedanke kam?
»Eigentlich mit der Gitarre. Das Mädchen Dolores legte sie ihr in den Sarg.«
»All das ist schrecklich!«
»Ja, Harry.«
»Und sie ist gar nicht mehr zu sich gekommen?«
»Nein. Das Herz versagte. Da war Hopfen und Malz verloren, schon seit Jahren.«
»Es tut mir leid.«
»Ja, mir auch. Sie war der letzte andalusische Troubadour. Der patrón ist ganz außer sich.«
Harry schwieg. Wir ratterten in den Ort. »Halt trotzdem bei der Kirche an!« sagte er plötzlich.
»Wie du willst.«
Ich wartete draußen. Der Lastwagen dröhnte und stieß, als hockte unter der Motorhaube ein wildes Tier, das heraus wollte. Ich hatte zehn Minuten gebraucht, den Motor in Gang zu bringen, und wollte ihn deshalb nicht abstellen.
Ich starrte auf den verwitterten Heiligen über der Kirchentür, und er starrte auf mich, ausdruckslos, denn er hatte kein Gesicht. Aus dem Dunkel der Kirche keuchte eine Melodie, mißtönend wie Jahrmarktsmusik. Ich brauchte eine Weile, bevor ich daraufkam, daß es die Kirchenorgel war. Gern hätte ich gewußt, wie sie auf den Heiligen wirkte, der ihr seit zweihundert Jahren zuhören mußte.
Endlich kam Harry wieder und ließ sich schwer auf den Sitz fallen.
Er schien nicht zu sprechen gelaunt, daher fragte ich, weil ich es wissen wollte: »Was sagte er?«
»Nichts.«
»Gar nichts?«
»Bloß, daß sie im Himmel besser aufgehoben ist.«
Laub, zu einem Kranz gebunden, King über der Tavernentür, als wäre es Weihnachten – aber es war nur ein Rest des Aberglaubens aus alter Zeit, um die bösen Geister zu vertreiben, die den Tod begleiten. Seltsamerweise schienen die Zweige auch das Geschäft zu vertreiben, denn an der Bartheke war es fast leer. Nur ein paar Männer saßen in einer Ecke und tranken Wein. Der patrón wusch mit finsterer Miene Gläser, sein Weib flüsterte ihm verdrossen etwas ins Ohr. Sie sahen starr auf die Mädchen, auf Dolores und Caterina und Carmen, die still dasaßen. Am selben Tisch saß Charley. Verschnürt lagen ihre Bündel neben ihnen auf dem Boden. Ich fragte mich:
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