Maenner wie Tiger
die Mutter. »Würden Sie ihn bitten, daß er geht? Er hat uns heute abend schon genug geschadet.«
Harry stieß seinen Stuhl zurück. »Mit Freuden«, sagte er.
»Und kommen Sie nicht wieder! Denn wir haben Freunde hier.«
»Dessen bin ich gewiß.«
Sie wartete, bis er den halben Weg zur Tür gegangen war, dann rief sie ihm ein Schimpfwort nach, das ein wohlerzogenes Mädchen nie gebrauchen würde. Harry wandte sich ruckartig um. Nun geht’s los! sagte ich mir.
»Luder! Deine Mutter hätte dir das Maul mit Seife waschen sollen!« schrie er.
»Unausstehlicher Kerl!«
»Und weißt du, was du bist?«
»Uns so mit Haß zu verfolgen …«
»Hol dich der Satan!«
»Was suchen Sie hier?«
»Huren jedenfalls nicht«, sagte Harry erschreckend brutal, und Charley flüsterte: »O Santa Maria!«
Die Fette sah auf. Sie lachte nervös, leise zuerst, dann immer lauter, wild und schrill, bis sie plötzlich den Halt zu verlieren schien und wie eine Last aus einem Wagen fiel, auf mich fiel. Ich sah ihre Züge ein fahles Blau annehmen, als hätte man ihrem Gesicht die Farbe des Todes injiziert. »Hilf mir!« rief ich zu Charley hinüber, denn ich wurde buchstäblich zermalmt wie von einer Lawine. Der aber saß nur da und glotzte. Miguel war es, der die schwere Last von meinem Schoß zu zerren versuchte. Die Männer in der Taverne sahen zu. Die zwei jüngeren Mädchen schrien auf, es war offenbar ein richtiger Herzanfall, und Harry, entsetzt, kam den halben Weg zurück, um zu helfen, doch Dolores stellte sich rasch vor ihn hin – ich sagte mir, das ist doch sinnlos –, sie räusperte sich, sammelte Speichel und spuckte ihm ins Gesicht.
Wir gingen hinaus aus dem Gedröhn der Musikbox, hinein in das Gedröhn einer andern, in die Welt elender Hütten, aus deren Ritzen Licht drang und erstickte Geräusche des Lebens, Lärm von Kindern, Frauen, Hühnern, Eseln vielleicht auch, gingen hinab durch Gassen mit Kopfsteinpflaster, gefährlich steil wie Rodelbahnen, an deren Seiten es in Rinnen leise schwappte. Ich wußte nicht, wohin wir gingen. Nach der stickigen Luft in der Taverne war es mir gleichgültig.
Hinter mir brummte Charley. Ich aber sah nur Harrys erstarrte Miene, versuchte mit seinen steifen, ziellos wandernden Beinen Schritt zu halten, fiel dann zurück und sagte zu Charley: »Er ist schon wütend genug. Mach ihn nicht noch wütender. Sei still!«
»Alles ist schiefgegangen.«
»Und warum? Weil du verrückt bist!«
»Ich meinte es gut.«
»Mit einem Gewinn für dich, was?«
»Ich war nur gutmütig. Das schwör’ ich bei der ewigen Seligkeit meiner Mutter!« (Bei einer wildfremden Person konnte er sich derlei Freiheiten nicht leisten.) »Senhor Juan, ganz vertraulich, sagen Sie’s nicht weiter: Ich war beauftragt, von denen im Camp.«
»Bestochen, willst du sagen?«
»Beauftragt, nicht bestochen!« schrie er. Ich fürchtete, Harry würde uns hören. »Darf ich denn nicht einmal einen Funken eines guten Gefühls haben? Die Männer im Camp, die wollen doch die Mädchen!«
»Leise, Charley!«
»Nun wird man mir allein die Schuld geben!«
»Hoffentlich!«
Er wandte sich zu mir, glasiges Mondlicht fiel auf seine blinde Gesichtshälfte. »O Senhor Juan, welch ein Triumph, wenn wir die Mädchen mitbringen …«
»Phantast!«
»Ich glaub’ immer noch, vielleicht ist’s möglich …«
»Ja, wenn den Eseln Hörner wachsen und es vom Mond grünen Käse regnet.«
Da sah sich Harry nach uns um und sagte ungeduldig: »Mach, daß er zu quatschen aufhört – oder ich stopf’ ihm das Knie zwischen die Zähne!«
»Warum so roh, Harry? Noch immer nicht genug für einen Abend?«
»Roh? Tat ich jemandem weh?«
»Mit Worten. Auch das ist roh.«
»Sie spuckte mir ins Gesicht.«
»Seien wir gerecht, Harry! Nach all dem, was du gesagt hast!« Wir mußten eine falsche Richtung eingeschlagen haben. Wieder befanden wir uns bei den elenden Hütten mit den laut gackernden Hühnern. Als wir das Kopfsteinpflaster steil hinanstiegen, fragte ich: »Hast du erwartet, sie würde mit Fäusten auf dich losgehen?«
»Nein, nur mit ihrem …«, meinte er sarkastisch und gebrauchte einen gängigen Ausdruck für das weibliche Geschlechtsorgan.
»Armes Mädchen!«
»Armes Mädchen!« spottete er nach.
»Harry! Sie haben nur diese kranke Mutter, sie sind jung, die Schönheit wird ihnen eine Bürde. Wir leben in einem Land, das für Wehrlose kein Mitleid kennt. Charley hat recht. Warf ihnen in der Taverne nur einer Geld zu?
Weitere Kostenlose Bücher