Männerlügen - warum Frauen immer die Wahrheit wissen wollen und Männer behaupten, dass es die gar nicht gibt
würde. Nach der Methode »Wenn Sie das mit den Hitlerwitzen machen, Herr Kollege, dann mache ich das mit dem Abhören von Feindsendern« attestierten diese offensichtlichen Gefälligkeits-Persilscheine Bosl Eigenschaften und Taten, für die es weiter keine Belege gab. Auffallend, dass ausgerechnet ein Lehrerkollege sichnicht für Bosl eingesetzt hatte, obwohl dessen Persilschein am schwersten gewogen hätte: Der Studienrat Hans Schregle war wegen seiner sozialdemokratischen Gesinnung von den Nazis ins Gefängnis gesteckt worden. Nach der Befreiung ernannten die Amerikaner ihn zum Bürgermeister von Ansbach. Später wurde Schregle Regierungspräsident von Mittelfranken.
Von einem ausgewiesenen Widerständler kam also keine Unterstützung. Da half es sehr, dass Bosl im September 1945 die Trauerrede bei der Errichtung eines Gedenkkreuzes für Robert Limpert halten durfte. Wie immer findet er auch hier an Limperts Grab den für die jeweiligen Machthaber richtigen Ton. Nicht mehr »Das Reich – es muss uns bleiben«, sondern: »Diese Ideen, die in dir besonders stark lebendig waren, wiesen dich hinaus über die geistigen Kerkermauern Deutschlands, ließen dich Anschluss finden an den Geist der anderen Völker und Erdteile, ließen dich aber auch mit uns in den Alliierten die Befreier von geistig-seelischer Not und Bedrückung sehen, von Gewissenszwang und Selbstprostitution, ließen dich Wege zu einer Zusammenarbeit mit den anderen Nationen finden, die uns dann auch wieder Achtung schenken werden.« Gleichschritt leb wohl, welcome Kratzfuß! Das ist schon gekonnt. Hut ab. Im Januar 1948 erhält Bosl von der Spruchkammer endlich den ersehnten »Unbelastet«-Status.
Ins Archiv der fränkischen Zeitung, die über Bosls »Das Reich – es muss uns bleiben«-Rede berichtet hatte, sowie in andere Archive schaute man erst Jahrzehnte später. Zeit genug für Bosl, um auf Basis einer Lebenslüge eine glänzende akademische Karriere hinzulegen, die ihn bis auf den Lehrstuhl für Bayerische Landesgeschichte hievte.
Mein Vater, der nun kurz davor war, mein Vater zu werden, stand vor verschlossenen Theatertüren. Wie der Mann inKafkas ›Vor dem Gesetz‹. Man hätte ihn gerne genommen in Augsburg, aber man durfte nicht. Um irgendwie etwas Geld zu verdienen, zogen meine Mutter, die zuvor ein Schauspiel-Stipendium am Münchner Residenztheater hatte, und ihr Bruder, ein Opernsänger, durch die bayerischen Lande und gaben Lieder- und Rezitationsabende, zu denen ein nach Erbauung dürstendes Publikum strömte. Meinen »vorbelasteten« Vater hatten sie ganz offiziell als Plakatkleber engagiert. Das durfte er, Plakate kleben in Kempten, Landshut, Leipheim und Pfersee.
Bis drei Wochen vor meiner Geburt war meine Mutter noch mit deutschem Versgut auf jenen Brettern gestanden, die meinem Vater verwehrt waren. Ein hoffnungsfroher Anblick, diese werdende Mutter mit Goethe, Novalis und Eichendorff auf den Lippen. Doch dann ging es nicht mehr. Weil ich kam. Danach war erst mal Pause für meine Mutter. Und weil nun ein Mäulchen mehr zum Stopfen war, wagt mein Vater etwas, was er zuvor und danach nie mehr getan hat: Er verstößt gegen ein Verbot. Er lügt. Herbert gibt sich den falschen Namen Joachim Reimann und deklamiert anstelle meiner Mutter den ›Zauberlehrling‹, die ›Füße im Feuer‹, ›John Maynard‹ und die ›Bürgschaft‹. Ich glaube, er war auf der Bühne nie glücklicher als damals, als er zumindest die geistige Nähe von Faust, Hamlet und Don Carlos spüren durfte. Er hatte das Verdikt seines Entnazifizierungsoffiziers durchbrochen.
Doch Bamberger sollte trotzdem recht behalten. Die Bühne, für die Herbert brannte, hat er nämlich nie wieder betreten. Statt Schauspieler wurde er Conférencier, wie man damals die Entertainer nannte. Edeka engagierte ihn für ihre Hausfrauennachmittage, auf denen, von artistischen Darbietungen unterbrochen, den mit Sachgewinnen herbeigelockten Damen die Produkte der Lebensmittelkette präsentiert wurden. Derjeweils ältesten anwesenden Hausfrau, großspurig Alterspräsidentin genannt, durfte ich als kleiner Junge einen Blumenstrauß überreichen. Grieß statt Goethe, Mehl statt Molière, Schmalz statt Shakespeare, so kamen wir über die Runden. Denn Witze für Muttis, da schaute die Entnazifizierung nicht so genau hin. Und besser bezahlt als ›Gott und die Bajadere‹ und ›Hyperions Schicksalslied‹ waren sie zudem.
Die Entnazifizierung erstarb dann sehr rasch, nicht weil die
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