Männerlügen - warum Frauen immer die Wahrheit wissen wollen und Männer behaupten, dass es die gar nicht gibt
sich »Revolutionäre Sozialisten« nannte. Sie begnügte sich jahrelang mit Schulung und Ausbildung, bis sie es 1940 an der Zeit fand, zur Propaganda der Tat zu schreiten. Einer ihrer führenden Köpfe, Bebo Wager, rekrutierte mögliche Gesinnungsgenossen auch in der MAN. So geriet mein Vater mit den revolutionären Sozialisten in Kontakt, ohne sich ihnen jedoch anzuschließen. Die Stärkung proletarischen Bewusstseins war nichts für ihn, es trieb ihn ja über seine Klassenschranken hinaus in die Kulturpaläste des Bürgertums. Man muss sich meinen Vater damals wie das »Kilroy-was-here«-Graffito aus den 80ern vorstellen. Da linst einer mit weit aufgerissenen Augen über eine Mauer, die er gerade bis zur Nasenhöhe erklommen hat und an die er sich nun festklammert, was man seinen an die Mauerkante gepressten verkrampften Fingern entnehmen kann. Wenn man schon so weit gekommen ist, lässt man sich nicht mehr auf den Boden proletarischer Realität zurückplumpsen. Aber im Herzen sympathisierte Herbert natürlich mit den Widerständlern.
Als die Ersten von ihnen verhaftet wurden, weil sie »Feindsender« abgehört hatten und denunziert worden waren, besuchte mein Vater einen der Ihren, Eugen N., einen Schriftsetzer und Grafiker, dessen für damalige Verhältnisse wildbohemienhaftes Auftreten bei Herbert großen Eindruck hinterließ, in der Untersuchungshaft. Das hatte zur Folge, dass die Gestapo Tage danach in der kleinen Wohnung von Beppi, Afra und ihrem Sohn Herbert auftauchte, alles von oben nach unten kehrte, aber ohne Greifbares wieder verschwand. Doch der Auftritt reichte aus, um die Ängste von Afra und Beppi in Panik zu verwandeln. Manche ihrer »Brüder« und »Schwestern« waren schon nach Dachau deportiert worden. Täglich könnten sie die Nächsten sein. »Es muss etwas geschehen!«, bedrängten sie ihren Sohn.
Und so kam es, dass mein Vater, um seine Eltern zu schützen, 1943 in die NSDAP eintrat. Noch kurz vor Kriegsende nach Italien verlegt, geriet er dort in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Im Lager organisierte er »Bunte Abende«, wie er das beim Reichsarbeitsdienst schon getan und dabei sein Talent als Alleinunterhalter entdeckt hatte. Wer von den Kameraden etwas darbieten wollte, konnte das zum Besten geben. Damals lernte mein Vater, dass das Rezitieren von ›Faust‹ bei einem breiten Publikum nur dann Erfolg verspricht, wenn dieses breite Publikum, wie im Falle der Kriegsgefangenen, nicht weglaufen konnte. Ob Herberts frühe Entlassung aus der Gefangenschaft in irgendeiner Beziehung zu dieser Erkenntnis stand, muss leider offenbleiben. Einen anderen Kameraden meines Vaters jedenfalls behielten die U.S. Forces ein weiteres Jahr im Lager, weil er so eine schöne Singstimme hatte. Der Kamerad hieß Dietrich Fischer-Dieskau.
Zurückgekehrt ins zerstörte Augsburg erwartete meinen Vater wie jeden Deutschen über 18 Jahre der berühmt-berüchtigte Meldebogen der Entnazifizierung, mit dessen Hilfe die Alliierten alle »nazistischen und militärischen Einflüsse« aus der neu aufzubauenden und umzuerziehenden deutschen Gesellschaft fernhalten wollten. Wie es seinem bis zur Starrheit aufrechten Naturell entsprach, gab Herbert im Fragebogen wahrheitsgemäß seinen Parteieintritt aus dem Jahre 1943 an. Zu diesem Zeitpunkt, wunderte sich Herberts Vernehmungsoffizier Bamberger, der als deutscher Jude vor den Nazis geflohen und jetzt als US-Offizier zurückgekehrt war, zu diesem Zeitpunkt seien doch die Amerikaner bereits in Sizilien gelandet und das Ende des Hitlerspuks absehbar gewesen. Wer da noch der NSDAP beitrat, musste, zumindest in Bambergers Verständnis, ein glühender Nazi gewesen sein. Herberts Argument, er habe dies nur zum Schutz seiner verängstigtenEltern getan, wollte Bamberger nicht gelten lassen. Also bemühte sich Herbert wie so viele Deutsche in diesen Zeiten um sogenannte »Persilscheine«. Das waren eidesstattliche Erklärungen politisch unverdächtiger Personen – Geistliche, Widerstandskämpfer etc. – mit entlastenden Aussagen, die den Entnazifizierungs-Spruchkammern zur Einschätzung vorgelegt wurden.
Natürlich wandte sich Herbert sogleich an den gerade aus der politischen Haft entlassenen Eugen N., den er damals im Gefängnis besucht hatte. Doch sein einstiger Freund Eugen weigerte sich, ihm den dringend benötigten Persilschein auszustellen. Herbert, ließ er wissen, sei in die NSDAP eingetreten, weil er gehofft habe, als Unterhalter beim KdF (Kraft durch Freude)
Weitere Kostenlose Bücher