Männerlügen - warum Frauen immer die Wahrheit wissen wollen und Männer behaupten, dass es die gar nicht gibt
Karriere zu machen. »In Wahrheit hat der Eugen sich dafür gerächt, dass Herbert zum damaligen Zeitpunkt mit einem Mädchen zusammenlebte, das früher mit ihm befreundet gewesen war«, erklärte mir meine Mutter. Sie muss es wissen, sie war das Mädchen. Ohne Persilschein stufte die Spruchkammer meinen Vater nicht als un-, sondern als minderbelastet ein und erteilte ihm Auftrittsverbot. Er verspreche ihm, dafür zu sorgen, so Offizier Bamberger, dass Herbert nie wieder auf einer deutschen Bühne stehen würde. Da war ich gerade heftig mit pränataler Zellteilung beschäftigt.
Auch bei der Familie Bosl in Ansbach ist Anfang 1946 Nachwuchs unterwegs. Keine einfache Situation, da das Reich Bosls Aufforderung, es solle gefälligst bleiben, nicht gefolgt war. Stattdessen sind jetzt die Amerikaner da. Kurz bevor sie am 18. April 1945 die Stadt erreichten, hatte sich dort eine grauenhafte Tragödie ereignet. Der tiefreligiöse Student Robert Limpert gehört zu einer kleinen Ansbacher Widerstandsgruppe. Als er erfährt, dass der örtliche KampfkommandantOberst Ernst Meyer die Stadt bis zum letzten Mann gegen die anrückenden Amerikaner verteidigen will, druckt er mit seinen Freunden Flugblätter, in denen er die Bevölkerung zur Kapitulation aufruft, um so Ansbach vor der Zerstörung zu retten. In der Absicht, die Kommunikation zum Militärkommando zu unterbrechen, durchtrennt Limpert zudem die Telefonkabel am Rathaus. Dabei wird er von zwei Hitlerjungen beobachtet und denunziert. Oberst Meyer lässt Limpert sofort verhaften und durch eine Farce von Standgericht in Minutenschnelle zum Tode verurteilen. Eigenhändig erhängt er Limpert an einem Haken an der Mauer des Rathauses. Drei Stunden später zieht die US-Armee ein.
Der Krieg ist aus, die Toten tot, die Überlebenden müssen überleben. Und da immer erst das Fressen und dann, wenn überhaupt, die Moral kommt, wird auch gelogen, wenn die Lüge zum Überleben hilft. Aufgrund seiner frühen Mitgliedschaft in NSDAP, SA und seiner Mitarbeit bei SS-Organisationen droht Bosl jetzt die Entfernung aus dem öffentlichen Dienst und damit die Vernichtung seiner Existenzgrundlage. Also schummelt er beim Ausfüllen des ominösen Meldebogens, behauptet, aktiven Widerstand geleistet und dies der US-Militärregierung (OMGUS) nachgewiesen zu haben, weshalb er nun Antrag auf Einordnung als »Entlasteter« stellt. Die war damals Voraussetzung für die Weiterverwendung im Schuldienst. Was hatte Bosl OMGUS erzählt und womit nachgewiesen?
Der Sergeant Special Branch Frank D. Horvay war ungarischer Abstammung und musste, weil er eingezogen wurde, seine Doktorarbeit in Germanistik an der Washington University in St. Louis unterbrechen. Da Horvay exzellent Deutsch sprach, übertrug OMGUS ihm nach der Befreiung die Entnazifizierung von Ansbach. Ein junger, vom deutschen Mittelalter begeisterter Student traf hier auf einen Fachautoritätausstrahlenden Mediävisten und war, wie er nachhause berichtete, glücklich, nach den Gräueln des Krieges endlich wieder geistige Auseinandersetzungen führen zu können. Horvay schreibt seinem Doktorvater in den USA voll Enthusiasmus, dass er sich mit einem Geschichtslehrer aus Ansbach, nämlich Karl Bosl befreundet habe, den die Nazis für ein Jahr ins KZ und anschließend für drei Jahre in ein Strafbataillon gesteckt hätten, aus dem er verwundet nachhause gekommen sei. In den letzten Kriegstagen habe er sich nachts aus dem Hause geschlichen, die Telefonverbindungen zu deutschen Militärverbänden gekappt und dadurch Ansbach vor der Bombardierung bewahrt. Die Ansbacher sähen in ihm den Retter ihrer Stadt.
Nichts davon ist wahr. Nichts. Alles Lüge. In dem offiziellen Entnazifizierungsverfahren gegen Bosl finden denn auch weder KZ noch Strafbataillon Erwähnung. Dieser Schwindel hätte keiner Nachprüfung standgehalten. Stattdessen behauptet Bosl nun, dem Widerstandskreis um seinen ehemaligen Schüler Robert Limpert angehört und Flugschriften mit dem Aufruf zur Kapitulation in der Stadt und in Eisenbahnzügen verteilt zu haben. Statt eines objektiven Beweises kann Bosl nur Persilscheine vorlegen, doch immerhin sechs an der Zahl, ausgestellt von Lehrerkollegen des Gymnasiums, an dem er mit vorläufiger Genehmigung durch Horvay unterrichtet. Sieht man sich Formulierungen und die seltsame Datierung einiger eidesstattlicher Erklärungen an, legen sie den Verdacht nahe, wie unzählige andere Persilscheine »gewallrafft« worden zu sein, wie man heute sagen
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