Männerstation
Diamanten? Oder eine Ölquelle unter der Kellerdecke? Wenn es das ist – keine Sorge! Da hat einer nur die Heizölleitung angebohrt.«
»Eine Haarklammer, Herr Professor.«
»Sieh mal an! Das ist sicherlich wertvoll!« Es klang ironisch und rügend zugleich. Eine Haarklammer, mein Gott, dachte Morus. Gleich werde ich brüllen müssen, daß man mich mit solchem Dreck in Ruhe lassen soll.
»Sie ist bestimmt wertvoll!« Schwester Angela hielt das Indiz hoch in die Luft. »Sie lag bei Herrn Beißelmann vor dem Bett.«
Prof. Morus, der gerade in einem Gutachten über eine Steinstaublunge blätterte, ließ die Blätter fallen, als jage die Kraft aus seinen Fingern. Über den Rand seiner goldenen Brille starrte er Schwester Angela an.
»Wo haben Sie die Haarklammer gefunden?«
»Vor dem Bett …«
»Zeigen Sie mal her!« unterbrach Morus. Er streckte die Hand aus, und Schwester Angela legte die Klammer hinein. Kopfschüttelnd betrachtete Morus das kleine Drahtding, er hob es gegen das Fenster wie eine Röntgenplatte und legte es dann vorsichtig auf seine Schreibmappe. »Ich wußte nicht, daß Beißelmann seine Haare mit Klammern festhält.«
»Ich auch nicht. Und mir schien, als röche es leicht nach Parfüm in seinem Zimmer …«
»So?«
»Aber sicher bin ich mir nicht. Die Klammer aber …«
»… ist offensichtlich ein weibliches Utensil und nicht zu bestreiten, allerdings.« Morus sah wieder auf die Haarklammer. Beißelmann, Beißelmann, dachte er. Also doch ein Weib! Daher die Aufregung, daher das irre Reden. Daß der Junge es nicht lassen kann … man sollte meinen, er sei vom weiblichen Geschlecht geheilt.
»Jemand vom Haus?« fragte Morus.
»Ich glaube nicht. Hier hat keiner dieses Parfüm. Ich dulde es nicht auf meiner Station, mit Ausnahme von Kölnisch Wasser.« Schwester Angela sah, daß ihr Fund mehr wert war, als sie zuerst vermutete. Morus zeigte großes Interesse. Er war der einzige im Haus, der Beißelmanns Geschichte kannte, und der mehr von ihm wußte, als daß er Paul hieß und fünfundvierzig Jahre alt war, Senkfüße hatte und den Blick eines gestorbenen Fisches.
»Also eine Dame von auswärts.«
»Dame …?« sagte Schwester Angela gedehnt.
Prof. Morus nahm die Brille ab und putzte die Gläser mit einem weichen Lederlappen, den er aus der Ziertuchtasche seines Anzuges zog. Auch er dachte in diesem Augenblick das gleiche: Wie muß die Frau aussehen, die sich in den Beißelmann, wie er heute ist, verlieben kann? Es war undenkbar, daß dies möglich war, aber es mußte so sein, denn ein Geist verliert keine Klammern vor einem Bett. Es war eines der verblüffendsten Rätsel, wie sie das Leben immer stellt in wechselvollen Arten und Variationen: Es gibt keine Häßlichkeit, die nicht geliebt werden könnte.
»Ich werde nachforschen, Schwester Angela.«
»Danke, Herr Professor.«
»Von Ihnen erwarte ich Stillschweigen.«
»Natürlich.« Schwester Angela sah Morus beleidigt an. Man unterstellt, auch wenn man Chefarzt ist, nicht einer Ordensfrau, daß sie schwatzhaft ist. »Ich bin verantwortlich für die Station und …«
»Und ich bin verantwortlich für das ganze Haus!« unterbrach Morus schroff. »Überlassen Sie das Weitere bitte mir. Wenn es nötig sein sollte, werde ich Sie über die Haarklammer aufklären, Schwester …«
Das war ein deutlicher Abschluß des Gespräches, und Schwester Angela verließ schnell das Chefzimmer. Sie war zu lange im Krankenhaus, um sich über Morus' Art zu ärgern. Chefärzte sind nun einmal so, vor allem, wenn sie einen Lehrstuhl an der Universität haben. Der Vorgänger von Morus, der Geheimrat und Hofrat Prof. Butzig, war eine doppelte Ausgabe von Morus gewesen. Er schrie im OP herum, beschimpfte seine Ärzte als dumme Jungen und Stümper, die man nur zum Rizinusverabreichen verwenden könne, und betitelte die Ordensschwestern mit ›des Himmels Fledermäuse‹. Trotzdem weinte fast das ganze Krankenhaus, als er sich mit fünfundsiebzig Jahren von der Medizin zurückzog und zum Abschied sagte: »So, und nun will ich mich endlich ausruhen von dem Gedanken, daß wir eigentlich nichts können …« Mit Hofrat Butzig verglichen, war Prof. Morus ein ausgesprochen höflicher und feiner Mensch.
Während Schwester Angela wieder zur Männerstation III ging, betrachtete Morus noch einmal die kleine Haarklammer. Es war eine helle Klammer, also mußte die Trägerin helle Haare haben. Blond oder rot oder ein ganz helles Braun. Eher blond, dachte Morus.
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