Männerstation
Gleichzeitig öffnete sie die Augen, um Bawuno Sambaresis schönes, braunes Massaigesicht wie eine gedankliche Umarmung zu genießen.
Hinter ihr, auf einem Stuhl, in einer steifen Bleischürze, saß ein älterer, freundlicher weißer Arzt mit schütterem grauem Haar und einer Goldbrille.
»Dr. Budde«, sagte er. »Wir machen noch einige Aufnahmen in verschiedenen Lagen.« Er beugte sich etwas vor und korrigierte mit sanftem Griff die Schulterhaltung Evelyns. Die Berührung seiner Hand hinterließ bei ihr keinerlei Wirkung, nur die Anspannung löste sich in einem heftigeren Zittern. »Frieren Sie, gnädige Frau?« fragte Dr. Budde noch einmal.
»Nein … nein …« Sie senkte den Kopf und drückte das Gesicht gegen die kalte, harte Tischplatte. Es war ihr, als müßte sie schreien, als gäbe es keine andere Möglichkeit, ihre vulkanische Erwartung zu zerstören, als grell und um sich schlagend zu schreien. Sie biß die Zähne zusammen und ertrug noch drei Aufnahmen … dann schwankte sie in die enge Kabine zurück und starrte wieder ihr Spiegelbild an, ihre großen, flimmernden Augen, die weißen Brüste in den Schalen ihrer Hände.
»Oh«, sagte sie, und es waren Worte, die wie kurze, spitze Schreie klangen. »Oh … das ist zuviel … zuviel … zuviel …«
Sie zog sich an und lief schnell aus der Röntgenstation hinaus in das weite Treppenhaus. Dort blieb sie stehen, aber die ungeheure Unruhe in ihr trieb sie nach wenigen Augenblicken weiter. Sie lief durch die Gänge verschiedener Stationen, und niemand sprach sie an oder fragte, denn um diese Zeit war ein Kommen und Gehen auf allen Abteilungen.
Schließlich klinkte sie am Ende eines Ganges eine Tür auf, weil sie gerade vor ihr war und weil sie spürte, daß ihre Knie weich wurden und sie sich irgendwo setzen mußte.
Das Zimmer war schmal und lang. Ein einzelnes Bett stand an der Wand. Es war leer, aber bezogen. Eine Decke lag peinlich zusammengefaltet am Fußende.
Evelyn Frerich warf sich auf das Bett, zog die Beine an und ballte die Fäuste. Sie preßte sie gegen die Schläfen, und so lag sie eine ganze Zeit, bebend und mit zusammengepreßten Knien, in einem wilden, gedanklichen Rausch, der sie nicht befriedigte, sondern ihr Inneres zu einem feurigen Krater werden ließ.
So traf sie auch Paul Beißelmann an, als er in sein Zimmer kam. Er blieb an der Tür stehen und starrte auf die zusammengekrümmte schöne Frauengestalt. Es war ihm unerklärlich, wo sie herkam und warum sie auf seinem Bett lag. Auf seinen dicken Gummisohlen tappte er lautlos näher und beugte sich von hinten über den blonden, zerwühlten Kopf.
Frau Frerich, dachte er verblüfft. Er schlich wieder zurück zur Tür und räusperte sich. Mit einem leisen Schrei fuhr Evelyn aus dem Bett.
»Sie?« sagte sie mit belegter Stimme. »Was machen Sie denn hier?«
Beißelmann versuchte ein Lächeln. Er legte die Hände auf den Rücken und verschränkte dort die Finger.
»Sie liegen in meinem Bett, gnädige Frau.«
»In Ihrem Bett …?«
»Das hier ist mein Zimmer.«
»Das wußte ich nicht.«
»Sicherlich nicht.«
Sie schwiegen und sahen sich an. Das Schweigen, das zwischen ihnen lag, war drückend und wuchs wie ein niederfallender Föhn.
»Darf ich fragen …«, sagte Beißelmann heiser.
Evelyn Frerich atmete laut und hastig. Sie setzte sich, lehnte sich gegen die Wand und schloß die Augen. Das Gefühl uneindämmbarer Erwartung durchrann ungehemmt noch immer ihren Körper.
»Ich habe Fieber«, sagte sie leise. »Ich habe bestimmt Fieber.«
Beißelmann tappte zu seinem Bett. Er beugte sich vor und legte seine große Hand auf ihre schmale Stirn. Sie war kalt und feucht.
Seine Hand, dachte Evelyn. Nicht denken, nicht sehen … es ist seine Hand, seine schöne braune, starke Hand … Die Hand eines Mannes …
Sie warf beide Hände nach oben, ergriff Beißelmanns fieberfühlende Finger und riß sie nach unten zu ihrer Brust. Fest drückte sie sie an sich.
»Gnädige Frau!« sagte Beißelmann heiser …
Eine halbe Stunde später saß er am Fenster und starrte auf den dunklen Hof. Er war allein, Evelyn Frerich war gegangen. Fröhlich, beschwingt, gelöst. »Grüßen Sie meinen Mann von mir«, hatte sie beim Abschied gesagt. »Ich komme morgen, ihn besuchen. Heute ist es schon zu spät. Und sagen Sie ihm, ich sei zum Röntgen hiergewesen, aber er soll sich gar keine Sorgen machen. Es ist nichts Schlimmes …«
Nun saß Beißelmann am Fenster, hatte die großen Hände um das
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