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Männerstation

Männerstation

Titel: Männerstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Beißelmann und eine hellblonde Frau … es war zu phantastisch, um weiterzudenken.
    Er nahm einen Briefumschlag aus der Schreibmappe und steckte die Klammer hinein. Dann knickte er das Kuvert mehrmals und steckte es in seine Rocktasche.
    Im gleichen Augenblick schellte das Telefon. Morus hob ab, und schon nach wenigen Worten flog sein Kopf hoch.
    Dr. Bernfeld rief an. Von der Station III.
    »Ich komme«, sagte Morus laut. »Verlegen Sie sofort auf Nummer zehn. Daß es so schnell kommt, hätte ich nicht gedacht!«
    *
    Es geschah ganz plötzlich. Ohne Anzeichen, ohne Übergang, ohne Anlaß. Es war wie eine innere Explosion.
    Ernst Brohl saß neben dem hicksenden Seußer und Heinrich Dormagen um den in die Mitte geschobenen Nachttisch, klopfte einen wunderschönen Skat mit einer Herzflöte, daß den anderen die Luft ausging, kaute ein Stück Nußkuchen aus ›Frau Frerichs‹ Paketen, trank eine Tasse Tee und war fröhlich und in bester Stimmung. Beißelmann saß noch immer auf der Bettkante Frerichs und bewirtete und umsorgte ihn, als sei der Selbstmörder ein blinder Säugling. Hieronymus Staffner und Lukas Ambrosius spielten ›Mensch ärgere dich nicht‹ und ärgerten sich maßlos dabei, was durch Knurren und kraftvoll-männliche Kosenamen deutlich wurde. Im ganzen gesehen: es war eine friedliche, schöne Stunde auf Zimmer 5.
    Da geschah es plötzlich. Ernst Brohl warf den Kopf zurück, als schlüge ihm eine geballte Faust unter das Kinn. Die Karten mit der Herzflöte fielen aus seiner Hand auf den Boden, er schwankte im Sitzen, riß sich den Schlafanzug vor der Brust auf, stampfte mit den Beinen wild und verzweifelt auf und begann zu röcheln.
    »Luft!« stammelte er. »Luft! Ich ersticke! Luft! Luft …« Es war ein Schrei, der unterging in Krachen und Poltern. Brohl schlug um sich, die Augen quollen ihm aus den Höhlen, in wilder Verzweiflung hieb er auf den Tisch und warf die Arme um sich, mit weit aufgerissenem Mund und heraushängender Zunge, ein gräßliches Bild, vor dem die anderen zurückwichen. Lukas Ambrosius war der erste, der hinzusprang, bevor Beißelmann auf Brohl stürzen konnte, mit seinen Armen den Röchelnden auf den Stuhl zurückriß.
    Als Beißelmann ihn umfaßte, wurde Brohl besinnungslos. Als wäre er ein leichtes Stück Holz, trug Beißelmann den Ohnmächtigen ins Bett und legte seine große Hand auf die schweißnasse, zuckende Brust. Das Herz schlug wild, aber es schien, als bekämen die Lungen wieder Luft. Der Brustkorb hob sich ganz schwach … dann dehnte er sich, und der erste richtige Atemzug war wie ein Rasseln von verrosteten Ketten. Mit starren Augen sahen die anderen zu, wie sich Brohl verfärbte, wie sein Gesicht einfiel, die Nase spitz und weiß wurde.
    »Was … was ist denn das?« fragte Paul Seußer. Er hatte die Karten aufgesammelt und mischte sie, unbewußt, mechanisch, mit zitternden Fingern.
    Beißelmann gab keine Antwort. Er hatte geschellt und wartete darauf, daß Schwester Angela erschien. Er wußte, was dieser plötzliche Zusammenbruch Brohls bedeutete. Und wie immer, wenn einer seiner Patienten hilflos wurde, zuckte es in ihm und eine wundersame Liebe zu diesem Menschen in seinen Armen überkam ihn und machte ihn traurig wie einen Vater.
    Trotz des Schellens kam niemand. Schwester Inge hatte eine Freistunde und saß im Garten, Schwester Angela war bei Morus und übermittelte die Haarklammer einer geheimnisvollen Frau. Dr. Bernfeld saß in seinem Zimmer. Er hörte zwar das Schellen, aber er kam seinerseits nur, wenn es bei ihm läutete. Das wiederum war die Aufgabe von Beißelmann oder Schwester Angela.
    »Ein Saustall!« schrie Beißelmann. Er hatte den Kopf Brohls hochgebettet. Aus den Mundwinkeln lief jetzt ein dünner Blutstreifen, hellrot, wie mit Sekt gemischt, fast perlend. Es war nicht viel, nur ein fadenfeiner Streifen, aber er floß und floß. Beißelmann baute um Brohls Hals eine Krawatte aus Mull und Zellstoff und versuchte, den zusammengepreßten Mund mit dem Finger zu öffnen.
    »Herr Seußer – oder Sie, Herr Ambrosius –, laufen Sie hinaus und schreien Sie in den Gang nach einer Schwester. Und holen Sie Doktor Bernfeld; ich kann den Patienten jetzt nicht allein lassen …«, schrie Beißelmann. Alle Dumpfheit war von ihm abgefallen. Das Gesicht Brohls wurde gelblich, in der Halskuhle sammelte sich kalter Schweiß.
    Ambrosius und Seußer rannten aus dem Zimmer. »Schwester!« brüllten sie im Chor. »Schwester! Schwester!« Sie standen im Flur und

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