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Männerstation

Männerstation

Titel: Männerstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Oberarzt Dr. Pflüger beruhigend gesagt. »Sie haben zu wenig Magensäure, das wissen wir jetzt. Sie werden Salzsäuretabletten bekommen, die helfen im Nu!«
    Aber Heinrich Dormagen war kritisch geworden. Wegen zu wenig Magensäure liegt man nicht auf Station III der Chirurgie. Und die Merkwürdigkeiten innerhalb seines Körpers nahm er auch wahr. Er hatte mancherlei gelesen, in Illustrierten und Zeitschriften: Artikel von Ärzten, Berichte von Kongressen, Romane von auf Arztthemen spezialisierten Schriftstellern – und er glaubte, sich soweit durch diese Lektüre auszukennen, daß er nicht kritiklos die Reden von Prof. Morus und Dr. Pflüger hinnahm.
    »Du, Erna«, hatte er gestern zu seiner Frau leise gesagt. »Ich glaube, ich habe Krebs.«
    »Red doch nicht solchen Unsinn!« hatte Erna Dormagen mit entsetzten Augen erwidert. »Das kommt davon, daß du immer die Arztromane liest.«
    »Aber sie tun ja gar nichts mit mir. Ich liege hier herum wie ein hoffnungsloser Fall.«
    »Das darfst du dir nie und nimmer einreden, Heinrich!« Frau Dormagen war ehrlich verzweifelt und wußte nicht, wie sie ihrem Mann diese dunklen Gedanken ausreden sollte. »Der Professor ist berühmt, und auch Doktor Pflüger hat einen Namen! Sie tun alles, was sie können. Aber was sollen Sie denn tun, wenn du nichts hast, außer zu wenig Magensäure?!«
    »Und warum bleibe ich hier? Warum entlassen sie mich nicht?«
    »Weil die Beobachtungszeit noch nicht rum ist, Heinrich.«
    »Wieso muß man so lange eine nicht vorhandene Magensäure beobachten?!«
    »Die Ärzte werden das schon wissen! Die haben keine Arztromane gelesen, sondern jahrelang studiert! Die haben ihre Erfahrung!«
    Heinrich Dormagen hatte daraufhin geschwiegen. Er hatte auch seine Erfahrung … die Schmerzen im Magen, der ab und zu jauchige Kot, das widerliche Völlegefühl nach einem trockenen Brötchen, die plötzliche unnatürliche Abneigung gegen Wurst und Fleisch und die Lust, saure Gurken zu essen oder fette Ölsardinen, und wenn er sie vor sich sah, überkam ihn wieder Ekel und Brechreiz. Das alles hatte er Erna nicht gesagt, um sie nicht in eine Panikstimmung zu bringen. Aber Prof. Morus hatte er es erzählt, und der hatte aufmerksam zugehört und hinterher gesagt: »Lieber Herr Dormagen, Sie müßten eigentlich Dörrmagen heißen. Ihre Verdauung stimmt nicht, die innere Sekretion … keine Sorgen!«
    Damals hatte Dormagen über das Wortspiel gelacht. Ein toller Kerl, der Professor, hatte er gedacht. Aber diese Stimmung hielt nicht vor. Sein Magen sorgte für stille Sorgen.
    Der plötzliche Zusammenbruch des ›gesunden‹ Brohl war nun wie ein Schock über ihn gekommen. So kann es gehen, hatte er gedacht. So wird es mir ergehen … plötzlich ist es aus! Und die Fabrik ist verwaist, Erna steht allein, man wird Gedenkreden halten … ›Wir werden ihm immer ein ehrendes Gedenken bewahren …‹, eine Grube wird sein, die Feuerwehrkapelle wird blasen, ›Ich hatt' einen Kameraden …‹, denn er war seit fünfundzwanzig Jahren Mitglied der Feuerwehr … und dann … … Das große Nichts …
    Heinrich Dormagen lag stumm und flach im Bett und hatte den Kopf zur Seite gewandt. Es war ihm unmöglich, Ernst Brohl anzusehen. Der Anblick dieses wächsernen, noch atmenden Gesichtes reizte ihn zum Angstschrei.
    Beißelmann kam wieder mit dem leise fahrbaren Bett. Ihm folgten Prof. Morus und Dr. Bernfeld. Morus warf nur einen kurzen Blick auf Brohl und trat dann zur Seite. Mit wehender Haube rauschte Schwester Angela herein. Sie faßte die Füße Brohls, während Beißelmann ihn um die Schultern packte. So legten sie den Röchelnden auf das Bett und rollten ihn aus dem Zimmer. Prof. Morus folgte dem Bett, ohne sich an die anderen Patienten zu wenden. Auch Dr. Bernfeld sprach nicht und eilte Morus nach. Zurück blieb nur Schwester Angela. Sie warf die Decke über den Fußteil und begann, das Bett abzuziehen. Rauschend flogen das Laken, der Bezug, das Kissen auf den Fußboden.
    Ein Mensch war gegangen … in zehn Minuten gab es keine Spur mehr von ihm. Nur eine nackte, grauweiß gestreifte Matratze lag in der grellen Sommersonne und lüftete aus.
    Im Zimmer war es still. Niemand sprach. Das nackte Bett schrie ihnen entgegen. Nur Heinrich Dormagen bewegte stumm die Lippen. Unter der Decke hatte er über seinem Magen die Hände gefaltet.
    Er betete.
    *
    Prof. Morus machte es kurz und ohne große Einleitung. Er holte das Kuvert aus der Tasche, schüttete den Inhalt auf einen Bogen

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