Männerstation
Passiert etwas in Deutschland, so ist jeder von uns selbst schuld! Hier wird das System einer Kollektivschuld exerziert, wie es besser gar nicht gehen kann! Sagen wir also den Kranken, die draußen im Krankenwagen vor den Türen der Krankenhäuser sterben, weil diese keine Betten haben: ›Was wollt ihr denn?! Es ist doch eure eigene Schuld!‹«
Ministerialdirektor Dr. Haller sah Dr. Berg aus gesenkten Augen an. »Sie halten mich wohl für einen großen Idioten, was?«
»Wir alle sind mehr oder minder Idioten! Nur merken wir es nicht, weil wir satt sind.«
»Dann machen Sie bitte konstruktive Vorschläge.«
»Dazu braucht es weniger Worte: Bessere Bezahlung der Schwestern! Mehr Einstellungen, dadurch mehr Freizeit. Menschenwürdigere Behandlung. Mehr Betten! Neue Krankenhäuser mit modernen Therapiemitteln. Rekonvaleszentenheime. Eine intensive Betreuung der krebskranken Kinder – da stehen wir sowieso in der hintersten Reihe der europäischen Staaten – Krebsforschungsinstitute. Anschaffung von mehr Herz-Lungen-Maschinen und Fachausbildung von Ärzten in dieser Operationstechnik. Vor allem aber – Betten, Betten, Betten und Schwestern! Jedenfalls in den Orten, die noch erschreckend unterversorgt sind.«
»Und wer soll das bezahlen?«
Dr. Berg sah Dr. Haller stumm an. Dann sagte er das, was er eigentlich nicht sagen wollte.
»Vielleicht einige Negerstaaten, wenn sie später mithelfen, das unterentwickelte Deutschland zu entwickeln.«
Wortlos stürmte der Ministerialdirektor aus dem Zimmer von Prof. Morus. Er war so wütend, daß er sogar die Grundform des Anstandes vergaß. Er grüßte nicht einmal zum Abschied.
*
Prof. Morus hatte das Krankenhaus verlassen und war nach Hause gefahren. Er war zu erregt, um die angesetzte Chefvisite abzuhalten. Dr. Pflüger übernahm sie wieder und lief im Eilzugtempo durch die Stationen und Zimmer.
Nur in der Männerstation III hielt er sich länger auf. Hier führte er einmal vor, wie es sein kann, wenn man einen Oberarzt verärgert hat. Er begann schon in Zimmer 1, wo er ein Kissen befühlte und es schweißig fand.
»Was ist das, Schwester Inge?« donnerte er los. »Es genügt, daß der Kranke nur noch eine Niere hat, soll er auch noch eine Lungenentzündung haben, weil er im feuchten Bett liegt?! Sie wechseln sofort die Bettwäsche!«
Schwester Angela, die neben Schwester Inge stand, schwieg. Sie hatte die Lippen aufeinandergepreßt und schielte zu der kleinen Schwester hin, die mit hochrotem Gesicht anfing, das Kopfkissen abzuziehen. Sagt sie etwas, dachte Schwester Angela? Sagt sie, daß ich ihr vor zehn Minuten noch verboten habe, die Wäsche zu wechseln, weil es unnötig sei und die Bezüge durch zu vieles Waschen nicht besser werden?
Schwester Inge schwieg und begann, die Decke aus dem Bezug zu nehmen. Dr. Pflüger warf den Kopf hoch, als sie die Decke zur Seite schlug. »Na, na!« rief er laut. »Ein bißchen sachter! Schließlich ist das hier ein Kranker und kein Liebhaber, den Sie aufdecken!«
»Aber es tut ja nicht weh, Herr Doktor«, sagte der Kranke, um Schwester Inge zu helfen.
»Das können Sie nicht beurteilen, mein Bester. Es geht darum, daß diese jungen Schwestern keinerlei Feingefühl haben.«
»Manche haben's nie!« rief jemand im Zimmer. Dr. Pflüger wirbelte herum, aber es war nicht festzustellen, wer es gewesen war. Zimmer 1 war voll besetzt, und alle grinsten in seltener Eintracht. Der Kranke mit nur einer Niere sah Schwester Inge mit bittenden Augen an, als fühle er sich schuldig an diesem Auftritt.
»Schwester Inge ist immer so lieb zu uns«, sagte er zu Dr. Pflüger. »Ganz im Gegensatz zu anderen.«
Jeder wußte, wer damit gemeint war. Auch Schwester Angela verstand es, ihr Mund wurde schmal und verkniffen, ihre Augen hart. Sie nahm die feuchte Wäsche aus Inges Händen und ging aus dem Zimmer. Den Schlüssel zum Wäscheschrank hatte sie allein, sie gab die Wäsche aus und sie bestimmte auch, wann und wo neu bezogen wurde. Unterdessen saß der Mann mit einer Niere im Bett und hatte die Hände über der braungrauen Decke gefaltet.
Oberarzt Dr. Pflüger sah die Fieberkurven durch. Zweimal tippte er mit dem Zeigefinger auf eine Kurve.
»Deutlicher, Schwester!« sagte er hart. »Sie haben gelernt, daß die Kurven so einzuzeichnen sind, daß man nicht raten muß, wieviel es ist, sondern es mit einem Blick erfaßt. Das hier kann ebensogut 38,7 wie 38,8 sein.«
»Ich werde mich bemühen«, sagte Schwester Inge sehr leise.
»Ich bitte
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