Männerstation
Unterlippe. »Überall Gemeinheit, wohin man sieht, überall Verbrechen! Und ich bin mitten drin. Ich werde hineingerissen, auch wenn ich nicht will. Ich muß einfach … und ich werde es auch tun …«
»Was … was werden Sie tun?«
»Sie umbringen, wenn Sie der kleinen Schwester Inge etwas antun.«
Oberarzt Dr. Pflüger lehnte sich gegen das Fenster. In seinen Knien spürte er ein Zittern. Es war ihm bewußt, daß Beißelmann nicht nur Worte sprach … hinter ihnen stand der unbedingte Wille zur Tat. Und es gab keinen Schutz vor ihm als den, das zu tun, was er verlangte. Diese Hilflosigkeit würgte Dr. Pflüger die Luft ab. Er holte tief Atem und fühlte sich doch wie ein Erstickender.
»Gehen Sie«, sagte er mühsam. »Aber es ist nicht unser letztes Wort miteinander.«
»Das weiß ich, Herr Oberarzt.« Beißelmann verließ lautlos das Zimmer. Erst als er draußen war, rührte sich Dr. Pflüger wieder und riß den Schlips von der Kehle, als werde er von ihm erdrosselt. Dann stürzte er zum Schreibtisch, riß die linke Tür auf und füllte sich mit zitternden Fingern ein Wasserglas halb voll Kognak. In einem Zug goß er es hinunter und hustete dann heftig, weil das Getränk ihm die Kehle wegzubrennen schien.
Später stand er am Fenster und starrte hinunter in den Krankenhausgarten. Er schrak erst zusammen, als hinter ihm die Tür knackte. Im Zimmer stand Margot Staffner.
Dr. Pflüger zog mit einem Ruck seine Krawatte wieder hoch.
»Sie – Verzeihung, du?! Was machst du denn hier?«
Margot Staffner sah Dr. Pflüger aus großen, fordernden Augen an.
»Ich habe gehört, daß Hieronymus in etwa zehn Tagen entlassen werden soll.«
»So?«
»Ja. Er sagte es mir eben selbst. Du hättest es ihm gestern mitgeteilt.«
»Dann wird es stimmen.«
»Und das sagst du so einfach?«
»Wieso nicht?«
»Du weißt, was es bedeutet, wenn er entlassen wird! Aber ich kann mit ihm nicht mehr zusammenleben, nachdem das zwischen uns gewesen ist. Verstehst du das denn nicht? Es … es kann keine Ehe mehr geben. Du mußt eine Entscheidung herbeiführen. Du weißt, daß ich nur dich liebe.«
»Margot!« Dr. Pflüger zog nervös an seiner Krawatte. »Zehn Tage sind eine lange …«
»Sie fliegen vorbei! Und es kann nicht am letzten Tag sein!« Margot Staffner kam mit zwei langen Schritten in die Mitte des Zimmers. »Du mußt es ihm sagen … heute noch …« Ihre Augen bekamen einen flimmernden Glanz und verengten sich. »Oder hast du vergessen, was du mir gesagt hast …?«
»Nein«, antwortete Dr. Pflüger gedehnt. »Natürlich nicht. Ich dachte nur …«
»In zehn Tagen ist er wieder zu Hause. Und er hat mir in seiner Art gerade gesagt, wie sehr er sich darauf freue. ›Ein bißchen unbeweglicher bin ich zwar mit einem Bein‹, sagte er. ›Aber ausgeruhter, Margot! Himmel, wie ausgeruht.‹« Margot Staffner verkrampfte die Hände um die Handtasche. »Wenn ich daran denke … ich würde vor Ekel ohnmächtig werden! Du mußt mit ihm reden, hörst du?!«
Dr. Pflüger nickte stumm. Durch Margot Staffner ging ein deutliches Aufatmen. Ihr Gesicht entkrampfte sich, es wurde schön und rundlich und von einer zärtlichen Weichheit. Sie setzte sich auf die Couch, ließ sich dann nach hinten gleiten und hob die Hand.
»Komm zu mir«, sagte sie leise.
Dr. Pflüger blieb am Fenster stehen.
»Steh auf«, sagte er rauh. »Wenn jemand plötzlich hereinkommt …«
»Ich habe hinter mir abgeschlossen.« Margot Staffner lächelte und winkte wieder. »Ich bin doch kein kleines dummes Mädchen mehr …«
*
Seit einem Tag hatte Heinrich Dormagen heftige Schmerzen. Es war ihm, als schrumpfe sein Magen zusammen und schnelle dann wieder auseinander, schlage gegen die Rippen und die Därme und scheuere alle inneren Organe wund. Die Breinahrung, die er bekommen hatte, erbrach er wieder, kaum daß er sie hinuntergeschluckt hatte. Es schien, daß sie gar nicht bis zum Magen gekommen war, sondern sich am Mageneingang staute. In der Nacht waren die Schmerzen so heftig geworden, so stechend und den ganzen Körper überziehend, daß Schwester Angela ihm die erste Morphiuminjektion geben mußte. Dr. Bernfeld sagte am Morgen, als sie ihm das meldete: »Armer Kerl … nun geht es schnell. Ist das Einzelzimmer leer?«
»Ab morgen, vielleicht.«
Dr. Bernfeld ging hinüber zu dem kleinen Zimmer, in das man die Sterbenden rollte, um den anderen Patienten den Anblick eines vergehenden Menschen zu ersparen. Trotz Überbelegung hatte Prof. Morus auf
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